Schützenkönig
knallte.
Als sie eine Stunde später zu ihm in die Küche kam, saß er bei einem Glas Wasser und war in Erzähllaune. »War richtig lustig gestern, Elli«, sagte er. Sie konnte ihn nicht anschauen. »Aber manche vertragen es echt nicht mehr.« Er nahm einen Schluck, lachte laut. »Der Klaus, der hat sich übergeben. Hat er mir erzählt. Bei uns unten – im Gästeklo.«
Elisabeth schüttelte den Kopf. »Nein, bei uns unten auf dem Schweinebraten.«
Welche Blutgruppe Klaus wohl hat, dachte Elisabeth, als sie den Schlüssel in das Schloss des silberglänzenden Waffenschranks steckte. Bestimmt A positiv, Schweineblut. Das, was alle haben. Die Tür schwang auf. Die Waffen standen da, als wären sie nie in ihren und nie in den Händen der Polizei gewesen. Ist ja nichts passiert, dachte sie und streichelte über das Metall des Schrotlaufs. Noch nicht.
»Noch eins?« Klaus fragte eigentlich nicht. Es war eine Feststellung. Deshalb wartete der Vereinsvorsitzende der Westbeverner Schützen auch nicht auf eine Antwort. Mario bekam sein Glas Bier, und Klaus legte einen Arm um die Schultern des Berliner Schützenkönigs.
»So, mein Lieber. Jetzt mal raus mit der Sprache. Wer kommt in den Hofstaat?«
Mario schaute dämlich. »Was ’n det?«
»Dat is wichtig!«
Mario nickte. »Okay, was muss ich tun?«
»Sag mir zuerst, wer deine Königin wird. Ich nehme mal an, deine hübsche, rassige Kollegin?«
Mario verschluckte sich am Bier. »Besser nicht. Die steht da nicht drauf.«
»Wer dann? Hast dir etwa eine unserer Dorfschönheiten ausgeguckt?« Der Griff um Marios Schulter wurde fester. Der Fotograf spürte einen Fluchtinstinkt. Doch Klaus ließ nicht locker. Im Gegenteil. Er rückte noch näher, sein Lachen wurde noch freundschaftlicher, seine Aussprache noch feuchter. Mario war noch nicht betrunken genug, um die kleinen Tröpfchen, die in seinem Gesicht gelandet waren, ignorieren zu können. Er fand Klaus einfach nur widerlich.
»Ich kann mir aussuchen, wen ich will?«
Klaus grinste jovial. »Wenn die Dame deines Herzens einverstanden ist, kannst du jede zu deiner Königin machen.«
Mario nickte, wischte sich mit der Hand über das Gesicht und sagte: »Ich mache Elisabeth Upphoff zur Königin.«
Zack, der Arm war weg. Und Tröpfchen kamen auch keine mehr angeflogen. Klaus war sprachlos. Mario klopfte ihm auf die Schulter, eilte zur Theke, bestellte ein Glas Sekt und tänzelte zu seiner Auserwählten. Endlich konnte er einer Frau mal einen Herzenswunsch erfüllen. Und einem Arschloch eins auswischen. Ein schönes Gefühl.
Kein schönes Gefühl hatte Tim Möcke in diesem Augenblick. In seinem Bauch rumorte es schlimmer als vor einer Doppelstunde Mathe oder einem unangekündigten Englisch-Vokabeltest. Der Fotograf, der eine Mörderin aufgrund seiner Zeugenaussage überführen sollte, trank gerade mit ihr zusammen ein Glas Sekt. Jetzt tanzten sie auch noch. Ihre Hand, die in dieser seltsamen Nacht an dem Abzughahn der Jagdwaffe gelegen hatte, lag jetzt auf seiner Hüfte. Ihre Finger berührten die Jackentasche der Schützenuniform. Und in der Tasche lag Tim Möckes Zeugenaussage mit den Beweispatronen. Der Junge rannte, rannte um sein Leben. Denn das – so war er sich hundertprozentig sicher – war ab jetzt in Gefahr.
19. Kapitel
Viktoria beobachtete zwei Fliegen, die aufeinanderhockten und brummten. Poppende Fliegen, dachte sie. Bald schon wird eine kleine, hässliche Made das Licht der Welt erblicken – oder das Dunkel der Biomülltonne. Ein gutes Gramm schwer, einen knappen Zentimeter groß – Mutter und Kind sind wohlauf. Mutter und Kind. Mutter und Kind. Viktoria konnte sich kaum konzentrieren. Sie sah Martha vor sich, alt und grau und mit gesenktem Haupt. Und in ihrem Kopf sah sie die junge Frau vor sich, die Martha einmal gewesen war. Schön, schlank, gerade und doch gebrochen. Weil das Kind in ihrem Leib starb und weil der Mann, den sie liebte, ein Kind mit einer anderen bekam. Ein Mädchen. Ein kleines, süßes, kerngesundes Mädchen mit Zöpfchen und blaugrünen Augen. Es wurde Klein Püppi genannt, weil ihre Mutter Püppi genannt wurde.
Doch die Mutter hieß eigentlich Marie und das Kind Viktoria. Und Viktoria liebte es, wenn ihr Vater ihr aus einem Taschentuch eine kleine Maus faltete und sie hüpfen ließ. »Bernie«, rief sie dann vergnügt. »Bernie! Mehr. Noch mal.«
Dass Bernie Papa war, wusste sie nicht. Bis heute. Bis jetzt.
Bis zu diesem Moment, in dem die beiden Fliegen Nachwuchs
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