Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
mir
doch alles schon wieder viel zu abgehoben.
„Gestern war ein junger Mann hier, der war so lieb. Er hat
mich gefragt, wo ich in meinem Leben feststecke, dass ich diesem Stillstand
hier wieder begegne.“
„Aha“, denke ich. „das klingt ja mal vernünftig.“
„Hier kommen also nur Engel vorbei?“, und ich frage mich
schon, was ich dann hier soll.
„Nein, oh nein. Gestern war eine Frau hier, die war so
negativ und vereinnahmend. Immer hat sie nur von ihrer Tochter erzählt, die in
einem Kloster lebt und wie stolz sie auf diese ist“,erzählt Hilde, „dabei hat
sie ständig nur herumgejammert, wie schlecht es ihr auf diesem Weg ergeht.
Alles ist nur schrecklich und ihr passieren die schlimmsten Dinge. Dabei ist
sie doch so eine fromme Christin. Dann ist sie gestürzt und hat sich das halbe
Gesicht aufgeschlagen, dann kam sie in ein Schneetreiben, jetzt ist sie mit dem
Fuß umgeknickt…
Sie redet in einer Tour und hört überhaupt nicht zu. Dabei
interessiert es sie gar nicht, ob du das wissen möchtest oder nicht.“
„Was hast du ihr gesagt?“, frage ich Hilde.
„Na, dass sie vielleicht besser nach Hause fährt, wenn alles
so schrecklich ist.“
Ich muss lachen. „Was hat sie geantwortet?“
„Sie war total entsetzt über diesen Vorschlag. Auf keinen
Fall will sie nach Hause fahren. Ihre Tochter ist vor zwei Jahren diesen Weg
gepilgert und jetzt geht sie ihn. Ich habe ihr vorgeschlagen, vielleicht etwas
positiver an das Pilgern heranzugehen, aber sie hört ja überhaupt nicht zu. Sie
sagte, sie wäre sogar sehr positiv, weil sie so christlich ist und gläubig und
ihre Tochter im Kloster… Diese Frau war wirklich sehr anstrengend.“
„Alles klar, ich verstehe.“ Eine Katholische! Natürlich. Die
predigen doch meistens das was sie selbst nicht tun und versuchen andere zu
belehren. Ich nehme mir vor, wachsam zu sein und dieser Frau auf alle Fälle aus
dem Weg zu gehen.
„Weißt du, ich finde das so ungerecht. So eine Frau kann den
Weg aus eigener Kraft gehen, aber ich sitze hier schon seit einer Woche fest
und kann keine zehn Schritte gehen.“
„Dann hast du es ja so schlecht nicht getroffen,“ stelle ich
trocken fest.
„andere Pilger schleppen ihren schweren Rucksack stundenlang
durch die brütende Hitze und du sitzt hier im lauschigen Schatten, legst die
Beine hoch und siehst zu, wie der Camino zu dir kommt. Das ist ja fast schon
Luxuspilgern und mehr Strapazen scheinst du offensichtlich nicht zu brauchen.“
Aber Hilde kann das leider nicht so sehen.
„Ich wollte doch so gerne den Jakobsweg selber gehen.“
Mit ihrem Lebensgefährten zusammen ist sie die Strecke
letztes Jahr schon mit dem Wohnmobil abgefahren, damit sie vorbereitet ist. In
ihrem Alter und untrainiert wie sie ist, wird sie keine zweite Gelegenheit
bekommen, glaubt sie.
„Hilde“, sage ich in sehr ernstem Ton und schaue ihr tief in
die Augen, „du weißt, dass jeder Pilger seinen ganz eigenen Camino geht. Manche
kommen in Santiago an, andere nicht. Es gibt Pilger, die stürzen und verletzen
sich, bei anderen treten Blasen und Schwellungen auf und dann müssen sie
vorzeitig abbrechen. So ist der Camino. Keiner, egal wie alt er ist, weiß am
Anfang des Weges, wie er enden wird und da glaubst du, der Weg muss sich deinen
Vorstellungen fügen?“
Wir lachen. Sie hat die Botschaft verstanden und ist nicht
beleidigt. Das ist gut.
„Trotzdem würde ich den Weg so gerne selber gehen“, sagt sie
traurig und ich kann sie gut verstehen. So sehr mir dieses Teilstück heute auch
auf die Nerven ging, so ist der Weg insgesamt doch ein wundervoller und ich bin
froh und dankbar, dass ich ihn gehen kann.
Wo wir zwei Frauen schon mal beim Reden sind, können wir
auch nicht mehr aufhören. Ihr ganzes Leben hat sie in Thüringen verbracht. Als
sie geboren wurde, war es noch Deutschland, dann wurde es geteilt und dann
wieder vereint. Sie erzählt mir von ihrem manisch-depressiven Ex-Ehemann, der
mehr als einmal die Firma in den Ruin getrieben hätte, wenn sie nicht
aufgepasst hätte. Sie erzählt von ihren Kindern und Enkelkindern und von ihrem
Schwiegersohn, dem sie nicht verzeihen kann, dass er bei einer Prostituierten
war.
„Hat ihm denn deine Tochter verziehen?“, frage ich sie.
„Ja, stell dir vor, und die beiden turteln mehr als je zu
vor.“ Hilde hat so einen zarten Dialekt und drückt sich dabei so gewählt aus,
wie eine höhere Tochter aus alten Zeiten. Ich höre ihr sehr gerne zu… „er hat sich
bei ihr
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