Schuld währt ewig
das mal an.« Alois stand vor einem Tisch und blätterte in einer Kladde. »Von diesen Heften gibt es einige.« Er reichte es Dühnfort.
Eingeklebte Zeitungsartikel über den Unfall, bei dem Steffi Schünemann gestorben war. Ulrike Rodewald hatte sie mit Randbemerkungen versehen. Eine Lügnerin! Ein Pfeil führte zu Martinas Foto. Und ein Phantom- LKW . Ein Absatz in einem Artikel war rot eingekreist, in dem es um den Lastwagen ging.
Dühnfort blätterte weiter. Fotos von Martina beim Verlassen des Krankenhauses. Schäme dich, Lügnerin! Eine Aufnahme von Martina in Begleitung ihrer Eltern beim Betreten der Polizeiinspektion. Nichts als Lügen, Lügen, Lügen!!! Ein Bild am See. Eine Gruppe junger Leute. Martina mittendrin. Du genießt das Leben, als wäre nichts passiert. Aber nicht mehr lange! Ein Foto vom Haus in der Gabelsbergerstraße. Warum bist du nicht verreckt? Der Tonfall der Kommentare wurde zunehmend hassgeladener.
»Sie hat Martina verfolgt, und nicht nur sie.« Alois hielt ein halbes Dutzend ähnlicher Hefte in der Hand. »Jens Flade, Susanne Möbus, Margarethe Hasler, auch der Lehrer, der jetzt in Frankfurt wohnt, und sogar dein potenzieller Selbstmordkandidat. Unser Ermittlungsansatz war richtig.«
Dühnfort schlug das Heft zu. »Wir hätten uns nicht auf einen Mann festlegen sollen. Das war ein Fehler.«
»Aber nichts hat auf eine Frau hingedeutet«, warf Gina ein. »Sogar unser Fallanalytiker war davon überzeugt, dass wir einen Mann suchen. Was ist eigentlich mit Heinen? Weiß der schon Bescheid?«
»Ich bin noch nicht dazu gekommen, ihn zu informieren.«
Dühnfort reckte sich. Ein Wirbel knackte. Sie hatten sich zu früh festgelegt, und er fragte sich, ob sie sich von einem Vorurteil hatten leiten lassen.
Und dann war da noch der Schuss, den er abgegeben hatte.
Gina riss ihn aus seinen Gedanken. »Wir überlassen jetzt Buchholz diese Wohnung. Okay?«
»Guter Plan. Aber Ulrikes Buchhaltung nehmen wir mit.« Alois klemmte sich die Hefte unter den Arm.
89
Kaum war Dühnfort in seinem Büro angekommen, klingelte das Telefon. Marion Höffken war dran. »Heigl will dich sprechen, kannst du kurz raufkommen?«
»In fünf Minuten?«
»Ich sag es ihm.«
Erst brauchte er einen Espresso. Cremig lief der Giamaica in die vorgewärmte Tasse. Dühnfort rührte zwei Löffel Dark-Muscovado-Zucker hinein und trank den Kaffee in kleinen Schlucken. Danach fühlte er sich besser. Entspannter.
Für einen Augenblick. Dann war der Schuss wieder da.
Er war danebengegangen. Und doch auch nicht. Dühnfort fuhr sich übers Kinn. Er war kein guter Schütze. Wenn Ulrike Rodewald ihre Waffe nicht hätte fallen lassen oder wieder an sie gelangt wäre, hätte es ein Blutbad gegeben.
Wenn er richtig getroffen hätte, wäre sie jetzt tot.
Wie Helmbichler.
Alois hätte getroffen. Vielleicht war es ja gut, dass nicht er auf dem Dach gewesen war. Und doch … Wieder wollten die Bilder jener Nacht in ihm aufsteigen. Der Friedhof. Ein Jogger überholte ihn. Knirschender Kies unter seinen Füßen. Helmbichler. Das Messer.
Dühnfort gab sich einen Ruck und ging nach oben. Marion Höffken wies auf die Tür zum Büro. »Er erwartet dich.«
Leonhard Heigl stand am Fenster und sah hinaus in den dunkel werdenden Tag. Das Sakko hatte er abgelegt, das weiße Hemd war zerknittert. Als Dühnfort eintrat, drehte er sich um. »Tino. Gute Arbeit. Gratuliere.«
»Danke.«
»Setz dich doch.«
Heigl nahm am Schreibtisch Platz. Dühnfort auf dem Stuhl davor. Wie früher in der Schule, wenn man zum Direktor gerufen wurde. »Was gibt es?«
»Erst mal die Pressekonferenz. Wir brauchen eine Sprachregelung wegen des Schusses.«
»Eine Sprachregelung? Ich habe in Nothilfe geschossen.«
»Eben. Schon wieder Nothilfe. Das wird die Presse uns vorwerfen. Ich sehe schon die Schlagzeile: Wie ballerwütig ist die Münchner Kripo? «
»Du willst das schönreden? Dafür gibt es keinen Grund. Aber wenn du meinst, dann lass dir was einfallen. Ich bin nicht mit dabei. Ich habe zu tun.«
»Ich hätte dich aber gerne bei der PK am Tisch sitzen. Schließlich hast du den Fall erfolgreich zu Ende geführt.«
»Nicht ich allein. Das Team. Und noch sind wir nicht fertig. Bis das alles abgeschlossen ist, wird es noch Wochen dauern. Ich habe alle Hände voll zu tun, und für Euphemismen bin ich der falsche Mann. Wozu haben wir Pressesprecher? Sollen die sich eine Sprachreglung einfallen lassen. War es das?« Dühnfort schob den Stuhl
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