Schuld währt ewig
Unverfrorenheit gehabt hat, dich tollen Kerl zurückzuweisen!« Der letzte Rest von Müdigkeit wich aus ihrem Körper, machte einer nie gekannten Wut Platz.
»Was ist denn mit dir los?« Er kam auf sie zu, wollte neben ihr Platz nehmen.
»Untersteh dich!«, fauchte sie ihn an.
Er setzte diesen besorgten Blick auf, den er so gut draufhatte. »Du scheinst psychisch etwas angeschlagen zu sein. Ich verstehe ja, dass es schwierig ist, mit dieser schrecklichen Wahrheit …«
»Wahrheit!« Sie sprang auf. »Lügen. Nichts als Lügen hast du mir aufgetischt. Ich habe dir nie erzählt, dass ich an Ludwigs Tod schuld bin. Du hast meine Freundschaft und mein Vertrauen ausgenutzt, um mich zu manipulieren. Das war deine kleine, beschissene Rache, weil ich dich nicht will. Ich habe den Artikel gelesen. Ich weiß, wie du das gemacht hast! Und jetzt hau ab und lass dich nie wieder blicken!«
Geduld und Freundlichkeit verschwanden aus Thorstens Gesicht. Der Blick wurde hart, seine Stimme gefährlich leise. »Du denkst wohl, Freundschaft ist eine Einbahnstraße.« Er kam auf sie zu. Sie wich zurück. »Immer nur nehmen, nehmen, nehmen. Immer nur du, du, du.« Wieder trat er einen Schritt näher, wieder trat Sanne einen zurück, spürte die Wand im Rücken, sah die Verachtung in Thorstens Augen, nahm den Geruch nach Altenheim wahr, der aus seinen Klamotten stieg, und hörte das Knirschen seiner Zähne, als er die Kiefer aufeinanderpresste. Ihr Herz begann zu rasen. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Er fuhr herum. Niklas stand da. »Zeit, zu gehen.«
Thorsten musterte den Highlander. Alle Muskeln spannten sich. An seinem Hals traten die Sehnen hervor. Einen Augenblick befürchtete Sanne, er würde eine Schlägerei anfangen. Doch offenbar erkannte er seine körperliche Unterlegenheit. Der Blick kehrte zu Sanne zurück. »Und ich habe mal geglaubt, du wärst etwas Besonderes. Doch du bist nur eine kleine Schlampe.« Auf dem Absatz machte er kehrt. Niklas folgte ihm. Donnernd krachte die Haustür ins Schloss. Sanne ließ sich auf das Sofa fallen und war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
Niklas kam herein. »Geht es dir gut?«
Sie nickte.
»Wer war das denn?«
»Ein Schatten der Vergangenheit. Ich erkläre es dir später.« Sie hatte jetzt keine Kraft mehr dafür.
»Ruh dich aus.« Leise zog er die Tür hinter sich zu. Während Sanne sich auf dem Sofa ausstreckte, fand ihr Herz langsam zum normalen Takt zurück. Wie hatte sie sich nur so in Thorsten täuschen können? Wenn Niklas nicht gewesen wäre, wer weiß, vielleicht wäre Thorsten handgreiflich geworden.
Niklas. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag hatte er sich für sie eingesetzt. Ganz Highlander eben. Sie musste schmunzeln und schämte sich gleichzeitig, als sie an ihre erste Begegnung dachte. Sie war so unfreundlich gewesen. Es tat ihr leid. Niklas war nett. Mehr als nett. Diese Ruhe, die er ausstrahlte und die sie so magisch anzog. Kam sie daher, dass er nicht gegen sich lebte, sich nichts schuldig blieb? Sie sah seine honigbraunen Augen vor sich und schlief ein.
Irgendwann schreckte sie aus einem wirren Traum hoch. Niklas saß neben ihr und betrachtete sie. Liebevoll, beinahe zärtlich. »Ich habe versucht, etwas zu kochen …«
Sie setzte sich auf und bemerkte, wie hungrig sie war. »Lass mich raten. Einen Haggis?«
»Ein Haggis … Was ist das?«
»Gefüllter Schafsmagen. Das schottische Nationalgericht. Sag nur, das kennst du nicht?«
»Schottisch?« Ratlos zog er die Brauen hoch. »Wie kommst du darauf?«
»War nur so eine Idee.«
Fragend sah er sie an. Sie musste einfach grinsen. »Also gut: Hat denn außer mir noch niemand den Highlander in dir gesehen?«
»Den Highlander?« Lachend legte er seinen Arm um ihre Schultern und zog sie näher an sich. »Mit Breitschwert und Fellumhang?«
»Vor allem ohne Breitschwert.«
»Ach so.« Belustigte Funken sprühten einen Moment lang in seinen Augen, dann wurde sein Blick wieder weich und zärtlich. Mit dem Zeigefinger fuhr er die Form ihrer Lippen nach, bis sie sich öffneten und sie sich von ihm küssen ließ. Der Dreitagebart kratzte. Natürlich. Ein Highlander.
91
Im Gandl herrschte reger Betrieb. Alois sah sich um, während Tino Gina aus dem Mantel half und Meo sich bereits an den Tisch setzte, den Tino reserviert hatte.
Es war laut und für Alois’ Geschmack ein wenig zu bohemien. Lange würde er ohnehin nicht bleiben. Um acht kam Evi mit Simon, um ihn abzuholen. Plötzlich fragte er sich,
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