Schuld währt ewig
Zeugen reden. Sind sie noch hier?«
»Ihr übernehmt das also.« Leyenfels legte zwei Münzen auf den Tisch und zog den Reißverschluss seiner Daunenjacke zu. »Und halt mich auf dem Laufenden.« Er nickte Dühnfort zu, dann Schellenberg, und verließ die Bäckerei.
»Sie warten in unserem Bus«, beantwortete Schellenberg die noch offene Frage.
Na prima, dachte Dühnfort. Sicher unterhalten sie sich seit einer halben Stunde über nichts anderes als den Unfall. Da gleichen sich die Aussagen ganz von selbst an.
Doch diese Vermutung musste er revidieren. Die Zeugen waren getrennt untergebracht. Oberstleutnant Phillip Büttner saß auf dem Beifahrersitz und las in einem Buch. Die Studentin Marie Sittler wartete im hinteren Teil des Busses, der mit Tisch, Bank und Laptop für die Befragung von Zeugen ausgestattet war. Die junge Frau starrte in die Dunkelheit. Handy und MP 3-Player lagen vor ihr auf dem Tisch.
Schellenberg stellte sie einander vor. Dühnfort setzte sich. Er sah Marie Sittler den Schrecken an. Ihr Teint war fahl, die Haltung verspannt. »Wie geht es Ihnen? Kann ich ein paar Fragen stellen?«
Sie nickte. »Geht schon.«
»Prima. Können Sie mir möglichst genau schildern, was Sie beobachtet haben?«
»Ja. Klar. Also, ich bin von der Bushaltestelle gekommen. Dahinten.« Sie deutete in die Dunkelheit. »Als ich kurz vor der Bäckerei war, habe ich den Mann gesehen. Er ging vom Gehweg auf die Straße und telefonierte. Gleichzeitig hat mich ein Auto überholt, ein dunkler Geländewagen. Er war erst langsam, hat dann aber beschleunigt. Ich habe mir noch gedacht, dass der jetzt doch bremsen muss, da hat es schon gekracht … Obwohl, gekracht ist falsch. Das war ein dumpfes Geräusch, eher leise … Was mit dem Mann genau geschehen ist … ob er auf die Motorhaube geschleudert wurde … oder so … Also, das habe ich nicht gesehen … Es war ja ein Geländewagen, ziemlich hoch. Der fuhr einfach weiter … und dann ruckelte der so komisch … als ob er über eine Bodenschwelle fährt … aber da war ja keine Schwelle.« Die Augen der jungen Frau bekamen einen feuchten Schimmer. »Dann habe ich den Mann wieder gesehen. Er lag auf der Straße. Also, der Wagen hat nicht gebremst. Der hat ihn einfach überrollt und ist weitergefahren, als ob nichts passiert wäre. Erst ein ganzes Stück weiter hinten hat er kurz gehalten. Dort, bei dem gelben Briefkasten.« Wieder wies sie hinaus in die Dunkelheit. »Da habe ich die Bremslichter gesehen, und in dem Moment ist mir klargeworden, dass der Kerl vorher überhaupt nicht gebremst hat. Ich meine, das tut man doch ganz automatisch. Zack, auf die Bremse, ohne nachzudenken. Ich habe aber nur einmal Bremslichter aufleuchten sehen. Ganz sicher.«
Dühnfort, der bisher seine Zweifel gehabt hatte, ob es sich nicht doch um einen Unfall mit Fahrerflucht handelte, beschlich ein ungutes Gefühl. Diese Zeugenaussage war sehr präzise. Fehlende Informationen schien Marie Sittler nicht durch Phantasie ergänzt zu haben. Die meisten Zeugen hätten ausgesagt, dass sie gesehen hatten, wie der Mann überfahren wurde. Marie Sittler nicht.
»Haben Sie die Farbe des Fahrzeugs erkennen können oder das Modell?«
»Das Modell? Nein. Mit Autos kenne ich mich nicht aus. Und die Farbe war einfach dunkel. Es war ja schon dämmrig. Vielleicht Dunkelblau oder Anthrazit. Könnte auch Schwarz gewesen sein.«
»Sie haben von einem Kerl gesprochen. Haben Sie den Fahrer gesehen?«
Die Studentin hatte ihn nicht gesehen und entschuldigte sich, dass sie Kerl gesagt hatte. Natürlich könnte auch eine Frau am Steuer gesessen sein. Der Wagen war nicht gerast, sondern ganz normal gefahren, vielleicht fünfzig, nachdem er beschleunigt hatte. Es hatten keine Reifen gequalmt oder gequietscht, wie in einem Actionfilm. »Es war so … wie soll ich sagen? Es war ganz unspektakulär. Und nun ist der Mann tot.«
Auf das Kennzeichen hatte sie nicht geachtet. Erst als der Fahrer nicht ausstieg und einfach weiterfuhr, hatte sie aufs Nummernschild geblickt. Doch das Auto war zu weit entfernt gewesen. Sie konnte nicht einmal sagen, ob es ein Münchner Kennzeichen gewesen war.
Anschließend befragte Dühnfort den Oberstleutnant Phillip Büttner. Er war auf der anderen Seite der Straße gegangen, ein Stück vor Marie Sittler. Er war also näher am Unfallort gewesen. Mit anderen Worten erzählte er präzise und militärisch knapp dasselbe wie die Studentin. Ihm war allerdings aufgefallen, dass das Fahrzeug
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