Schulden ohne Suehne
müsste gegebenenfalls diese Milliarden zahlen? Der Bund oder einzelne Länder? Diese Frage war lange weitgehend ungeklärt. Gegenüberder EU für Verfehlungen geradestehen musste der Bund, obwohl er die Länderverschuldung nicht beeinflussen konnte. Erst im Zuge der Reformen der Föderalismuskommission, auf die wir unten genauer eingehen, wurde dieses Problem in Deutschland gemindert.
Föderalismusreform I
Im Rahmen einer Neufassung des Artikels 109 Grundgesetz im Jahr 2006 verpflichteten sich Bund und Länder gemeinsam auf die Einhaltung des E U-Vertrags und teilten sich fortan mögliche Strafzahlungen aus der Verletzung des Stabilitätspakts im Verhältnis 65 zu 35 (Bund/Länder). Für die weitere Zurechnung des Länderanteils auf einzelne Länder sollte ein Einwohnerschlüssel in Verbindung mit dem Verursachungsprinzip zur Anwendung kommen. Wenn Deutschland also den Referenzwert der zulässigen Neuverschuldung übertrifft, lässt sich wenigstens feststellen, ob das stärker durch die Neuschulden des Bundes oder der Gemeinschaft der Länder verursacht ist. Auch für die Zuweisung möglicher Strafzahlungen im Rahmen des Stabilitätspakts wird von dieser Verantwortlichkeit ausgegangen.
Die Fehlanreize werden durch dieses Verfahren gemindert, aber keinesfalls beseitigt. Verschuldet sich beispielsweise das Land Berlin in einem Jahr besonders hoch und deutlich stärker als die anderen Länder und der Bund, und kommt es in der Folge zu einem Defizitverfahren und Strafen, dann ist das Land Berlin von diesen Strafen nur mit einem Bruchteil betroffen, selbst wenn seine Kreditpolitik am Ende für die Verletzung des Stabilitätspakts ausschlaggebend ist.
Was bringt die Verfassungsreform von 2009?
Die Schieflage in den öffentlichen Haushalten ist in den vergangenen zehn Jahren stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Anzeichen für die Reformbedürftigkeit der deutschen Finanzverfassung gab es viele. Das Land Berlin wollte finanzielle Hilfen seitensdes Bundes wegen seiner vermeintlich extremen Haushaltsnotlage beim Bundesverfassungsgericht erklagen – und hat verloren. Die Bundesländer Bremen und das Saarland hatten bereits viel früher beim Bundesverfassungsgericht mit ähnlicher Begründung geklagt und nach dem Urteil vom 27. Mai 1992 Bundeshilfen in Milliardenhöhe erhalten. Das sich daraus entwickelnde Saarland-Bremen-Syndrom wurde in Kapitel 7 beschrieben. Auch der blaue Brief aus Brüssel und das später gegen Deutschland eröffnete Defizitverfahren wegen der jahrelangen Überschreitung des Referenzwerts von drei Prozent war ein klares Symptom dafür, dass mit der deutschen Finanzverfassung etwas im Argen lag.
Dieses öffentliche Bewusstsein mag eine der entscheidenden Ursachen gewesen sein, warum nach der ersten Föderalismusreform eine weitere Kommission des Bundestags und des Bundesrats ins Leben gerufen wurde, die als Föderalismuskommission II am 8. März 2007 ihre Arbeit aufnahm. Sie sollte Wege finden, um Haushaltskrisen in Zukunft vorzubeugen. Dafür mussten die fiskalischen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern klarer definiert werden. Dazu gehört auch eine größere steuerpolitische Autonomie der Länder. Herausgekommen ist eine Verfassungsreform, deren wahrscheinlich wichtigster Bestandteil die Veränderung der Verschuldungsregeln von Bund und Ländern ist. In der Präambel des Gesetzentwurfs heißt es:
»Ziel der Grundgesetzänderungen im Bereich der Finanzverfassung ist es, im Einklang mit den Vorgaben des reformierten europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes die institutionellen Voraussetzungen für die Sicherung einer langfristigen Tragfähigkeit der Haushalte von Bund und Ländern zu verbessern.«
Umgesetzt wurde dieses Ziel durch Veränderungen der Artikel 109 und 115 des Grundgesetzes sowie die Hinzufügung von Artikel 109a. Artikel 109 hatte seit der Änderung 1969 das Haushaltsrecht im Kern den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen untergeordnet. In der neuen Fassung bleiben die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts weiterhin relevant. Hinzu tritt eine gemeinschaftliche Verpflichtung von Bund und Ländern, die Defizitvorschriften des E U-Vertrags einzuhalten.
Wichtiger noch ist die ausdrückliche Verpflichtung von Bund und Ländern, die Haushalte »grundsätzlich« ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Die Budgets dürfen dabei im Konjunkturzyklus atmen: Ein Ausgleichskonto soll über die Zeit Defizite und Überschüsse
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