Schulden ohne Suehne
Politikern zu überlassen. Es wäre nachvollziehbar, wenn Politiker heute lieber selbst alle möglichen Handlungsspielräume nutzen, ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, anstatt Handlungsspielräume für andere, zukünftige Politiker offenzuhalten. Schließlich weiß man selbst am besten was man will. Und entsprechend sind die Handlungsanreize. Ob andere morgen das tun was man selbst will, das weiß keiner so genau. Heute etwas nicht zu tun, das man will, nur damit später andere das tun können, was sie wollen – das ergibt wenig Sinn!
Der amerikanische Ex-Präsident Ronald Reagan zum Beispiel war Republikaner, und er galt als ein zutiefst konservativer Politiker, was seine Grundüberzeugungen und seine Einstellungen zum Staat angeht. Trotzdem beendete er seine Amtszeit als Präsident mit einem tiefroten Staatshaushalt und einem Berg an Staatsschulden. Seine Regierung hat große Summen für Rüstung ausgegeben. Viele erinnern sich an die Vision des Star-Wars-Progamms, und manche denken, die USA habe mit ihrem Rüstungswettlauf die Sowjetunion in den Ruin getrieben. Gleichzeitig wurden unter seiner Regierung die Steuern deutlich gesenkt. Wer viel ausgibt und wenig einnimmt, macht Schulden.
Die Wirtschaftstheoretiker Torsten Persson und Lars Svensson haben sich gefragt, weshalb ausgerechnet ein überzeugter Konservativer so viele Staatsschulden machen würde. Präsident Reagan mag geahnt haben, dass ihm ein weit weniger konservativer Politikerals Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika folgt. Möglicherweise gar einer, der Staatsgelder in den Aufbau eines amerikanischen Sozialstaats stecken möchte. Einer, der für eine allgemeine Krankenversicherung eintritt. Selbst konnte er die Machtübernahme durch einen Demokraten nicht verhindern. Er konnte aber dafür sorgen, dass sein Nachfolger einen tief verschuldeten Staatshaushalt übernimmt. So eine Schuldenlast macht es auch einem Demokraten schwer, öffentliche Gelder für sozialstaatliche Programme zu mobilisieren. So konnte Präsident Reagan mit seiner Schuldenpolitik über seine Amtszeit hinaus wirken. Er konnte eine Reihe von Politikmaßnahmen verhindern, die er wohl nicht gemocht hätte. Das Instrument hierfür war die Staatsverschuldung: Er hat seinem Nachfolger einfach die finanziellen Mittel für solche Maßnahmen entzogen.
Ein Vergleich mit der Situation von Privatleuten macht diesen wichtigen Unterschied deutlich. Der Privatmann Herr K. kann bei seiner Bank einen Konsumentenkredit aufnehmen. Das verschafft ihm unmittelbar Gestaltungsspielraum. Von dem Kredit kann er zum Beispiel in Urlaub fahren oder ein neues Auto kaufen. Herr K. weiß aber, dass er mit dem Kredit und diesen Ausgaben heute im Gegenzug seine Konsummöglichkeiten morgen einschränkt. In der Zukunft stehen Zinszahlungen und Tilgung an. Diese Verpflichtungen binden Teile seines künftigen Einkommens. Herr K. muss deshalb entscheiden, ob er lieber heute oder in der Zukunft konsumiert. Herr K. weiß: Sein auf Kredit finanzierter Neuwagen schränkt seine eigenen Möglichkeiten in der Zukunft ein. Er selbst hat Nachteile in der Zukunft, wenn er heute mehr konsumiert als es seinem Einkommen entspricht. Wenn hingegen ein regierender Politiker sich Geld geliehen hat und damit seine Lieblingsprojekte finanziert und umsetzt, dann hat nicht er oder seine Regierung die zukünftigen Kosten seiner Schulden zu tragen, sondern seine Nachfolger.
Ein wichtiges Instrument, mit dem Staaten solche illegitimen Formen der Staatsverschuldung einzudämmen versuchen, sind die verfassungsmäßigen Regeln und Schranken für Staatsverschuldung. Wie diese Finanzverfassung in Deutschland aussieht und wie sie sich entwickelt hat, ist das Thema des nächsten Kapitels.
Bilanzkosmetik durch Sondervermögen
Für den eher kreativen Umgang der Bundesregierungen mit den Verfassungsprinzipien zur Verschuldung gibt es ein weiteres Indiz. Mit der Schaffung von sogenannten »Sondervermögen« haben sie Schulden am regulären Haushalt vorbei gemacht. Der Begriff beschönigt den Sachverhalt. Staatliche Sondervermögen sind in der Regel das Gegenteil dessen, was man landläufig unter Vermögen versteht. »Sonderschulden« wäre in vielen Fällen der treffendere Ausdruck. Es geht dabei oft um künftige Verbindlichkeiten oder Kreditaufnahmen, die kurzfristig aus dem laufenden Budget herausgenommenund großenteils erst später in den Haushalt überführt werden.
Der Bonner Grundgesetzkommentar zum Artikel 115 nennt
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