Schuldig wer vergisst
hinzu.
Großmutter in Schottland, schrieb Neville in sein Notizbuch. Er würde sich die Anschrift nötigenfalls später besorgen. »Hat Alex so etwas schon mal getan?«, fuhr er fort. »Ich meine, weggehen, ohne jemandem Bescheid zu geben?« Er sah Angus Hamilton an, der seine Frau fixierte, und so wandte Neville ebenfalls den Kopf.
Sie winkte nur ab. »Ständig. Ich meine, Alex kommt und geht, wie es ihr passt. Sie ist ihr eigener Herr. Wir sind nicht ihre Kindermädchen. Ich jedenfalls nicht.«
Noch etwas fiel Neville ein. »Ich hätte das wohl gleich fragen sollen. Hat Alex ein Handy?«
»Ich hab ihr angeboten, ihr eins zu kaufen«, erklärte Angus Hamilton. »Sie hätte sich eins aussuchen können, aber sie wollte keins.«
»Sie musste ja immer was Besonderes sein«, fügte Jilly spitz hinzu. »Welches Mädchen hat heutzutage kein Handy? Das ist doch pervers.«
Das war’s dann, erkannte Neville. Er vergeudete eindeutig seine Zeit. Der Stiefmutter war es scheißegal, wo das Mädchen war, und es war nicht das erste Mal, dass die Kleine
sich selbstständig machte – nur dass ihr Vater es zum ersten Mal mitbekam, weil er an diesem Abend früher von der Arbeit gekommen war. Das Kind mochte schon wer weiß wie oft abgehauen sein, ohne dass er es wusste. »Ich denke, ich sollte mal einen Blick in ihr Zimmer werfen«, sagte Neville und klappte sein Notizbuch zu.
Angus Hamilton nickte. »Natürlich, Inspector. Ich muss Sie nur warnen: Es ist nicht gerade ordentlich.«
»Es ist eine Müllhalde, eine Schande«, flüsterte Jilly außer Hörweite ihres Mannes.
Nevilles Wohnung war auch kein Ausbund an häuslicher Ordnung, doch selbst er fand Alex’ Zimmer ziemlich erschreckend. Es wirkte, als hätte sie es geradezu darauf angelegt, Ordnung in Chaos zu verwandeln. Vielleicht, dachte er angesichts des makellosen Zustands in der übrigen Wohnung, ging es wirklich genau darum. Eine Trotzreaktion.
Er stand in der Tür und versuchte für den Fall, dass es doch noch zu Ermittlungen kam, alles im Kopf zu speichern, was er sah. Ihm wurde bewusst, dass er die halbe Zeit, die er bei den Hamiltons gesessen hatte, mit einem Ohr auf die Tür gehorcht hatte, als müsse sie jeden Moment aufgehen und Alex hereinspaziert kommen. Jetzt, wo er wusste, weshalb sie weggegangen war – ein Streit, noch dazu ein unangenehmer mit einer völlig gleichgültigen Stiefmutter -, war er mehr denn je davon überzeugt, dass sie nicht lange wegbleiben würde. War die Wut erst mal abgekühlt, hatte sie erst einmal Dampf abgelassen, dann würde sie nach Hause kommen, sobald sie davon ausgehen konnte, dass ihr Vater daheim war. Sie würde sich an ihn um Hilfe wenden und hoffen, dass er sich auf ihre Seite schlug und sie ein paar Punkte gegen ihre Stiefmutter gutmachte.
Irgendwie beneidete Neville Angus Hamilton nicht: zwischen zwei eigensinnigen Frauen hin und her gerissen, die sich hassten wie die Pest.
Andererseits war der Mann ein Glückspilz – die reizende Jilly jede Nacht im Bett zu haben …
Er gestattete seiner Fantasie nicht, diesen Faden weiterzuspinnen, denn das wäre fatal.
Neville bahnte sich durch die über den Boden verstreuten Kleider seinen Weg bis zum Schreibtisch. Vielleicht hatte sie ja dort einen Zettel hinterlegt, um mitzuteilen, wo sie hingegangen war.
Doch er fand auf Anhieb nichts dergleichen. Dann der Computer?
Er drückte wahllos eine Taste; der Bildschirmschoner verschwand, und stattdessen erschien ein Fenster mit der Passwortabfrage.
Es war noch entschieden zu früh, auf diese Weise die Privatsphäre eines jungen Mädchens zu stören. Falls sie zurückkam – wann immer das sein mochte -, wäre sie wahrscheinlich wütend, wenn sie erfuhr, dass ihr Vater einem Polizisten gestattet hatte, in ihrem Zimmer herumzuschnüffeln.
Neville trat behutsam den Rückzug an. »Mr Hamilton«, sagte er, und es war nicht nur der Gedanke an das Sixpack, der ihn dazu veranlasste, »für mich sieht die Sache im Moment folgendermaßen aus: Niemand ist in Ihre Wohnung eingedrungen, um Ihre Tochter zu entführen. Sie ist aus freien Stücken rausgegangen, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sie nicht bald wieder heimkommt.« Er hielt ihm eine Visitenkarte hin.
»Meine Handynummer. Bitte rufen Sie mich an, sobald sie zurück ist.«
»Inspector.« Angus Hamilton übersah die Karte und starrte Neville mit einem Ausdruck ins Gesicht, der so kalt war wie sein Ton. »Das ist nicht gut genug. Wir sprechen immerhin von einem Kind.
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