Schuldig wer vergisst
peitschte gegen das Erkerfenster an der Straßenfront und strömte in breiten Rinnen daran herab. Sie betrachtete das Fenster und zitterte unwillkürlich, während sie mit den Armen ihre Schultern umfasste.
»Und wann haben Sie ihn zurückerwartet?«
»Er ist immer um acht zurück. Dann duscht er schnell, zieht sich an, isst eine Schale Müsli und sitzt um halb neun am Schreibtisch.«
Cowley blinzelte und schien verwirrt. »Demnach arbeitet er …«
»Hier, von zu Hause aus. Habe ich das nicht gesagt? Er führt von daheim seine eigene Firma.«
»Als was arbeitet er, Mrs Norton?«, warf Neville ein. Cowley kniff die Augen zusammen – eine stumme Warnung, sich rauszuhalten.
»Er ist IT-Berater.« Ihr Stolz war deutlich herauszuhören. »Trevor ist ein Computer-Genie. Vor ungefähr einem Jahr hat er beschlossen, selbst was aufzuziehen. Bis jetzt läuft es sehr gut.«
»Arbeitet er ausschließlich hier?«, nahm Cowley den Faden auf. »Oder auch schon mal außer Haus?«
»Oh, er verbringt eine Menge Zeit außer Haus. Das gehört zu seinem Job, wissen Sie. Er muss dahin, wo die Computer sind. Wenn jemand ein Problem hat oder so, dann rufen die Leute ihn an, und er fährt hin.«
»Vielleicht hatte er einen Termin«, sagte Cowley. »Oder es hat sich plötzlich was Dringendes ergeben. Hat er ein Handy dabei, wenn er joggen geht?«
Rachel Norton schüttelte den Kopf. »Nein, beim Laufen will er ungestört sein. Er nimmt nur seinen iPod mit.«
Neville beobachtete Sid Cowleys Reaktion; unverkennbar huschte ein Anflug von Neid über sein Gesicht. Neville wusste, dass Sid sich sehnlichst einen iPod wünschte, aber noch nicht genug Geld beisammen hatte, um sich einen kaufen zu können. Mehr als einmal hatte Neville Sid mit der ganzen Selbstgerechtigkeit des ehemaligen Rauchers gesagt, wenn er seine zwei Päckchen am Tag aufgeben würde, könnte er sich schon bald dieses kleine Ding mit den schönen weißen Kopfhörern leisten.
Apropos, Sid hatte sich, seit Neville ihn morgens getroffen hatte, noch gar keine angezündet. Er hatte im Wagen nicht geraucht und auch Mrs Norton nicht gefragt, ob er im Haus rauchen dürfe – das war sonst gewöhnlich das Erste, was er tat. Und wenn er genau hinsah, stellte er fest, dass Sid einen Kaugummi kaute. Hol mich der Teufel – gab er wirklich das Rauchen auf?
»Was für einen iPod hat er denn?«, fragte Cowley.
Rachel Norton runzelte die Stirn und sah ihn befremdet an. »Ich weiß nicht genau. Das neueste Modell, nehme ich an. Ist das denn wichtig?«
»War nur neugierig«, murmelte er und kam wieder zur Sache. »Sie haben demnach keine Ahnung, wo er hingegangen sein könnte.«
»Er ist noch nie derart zu spät gekommen.« Sie sah auf die Uhr. »Es ist fast elf. Er hätte schon vor drei Stunden zu Hause sein müssen. Vor drei Stunden .«
Drei Stunden waren in ihrer Polizeiwelt gar nichts. Wäre das sein Fall gewesen, dachte Neville, hätte er die Sache an diesem Punkt abgebrochen, der Lady ein paar beruhigende
Worte gesagt und sie gebeten, sich bei ihnen zu melden, wenn der Göttergatte nach Hause käme, und ansonsten am nächsten Morgen anzurufen, sollte er bis dahin immer noch nicht aufgetaucht sein. Trevor Norton war ein erwachsener Mann. Falls er für ein paar Stunden von der schwangeren Frau verduften wollte, dann ging das die Polizei wohl kaum was an.
Doch das hier war nicht sein Fall, und er sagte kein Wort. Sid hatte offensichtlich andere Vorstellungen. Entweder versuchte er, mit seiner pedantischen Vorgehensweise beim Boss Eindruck zu schinden, oder aber er war trotz ihres grotesk dicken Bauchs von Rachel Norton angetan. Vielleicht langweilte er sich aber auch nur genauso wie Neville selbst und hatte nichts Besseres – oder Interessanteres – zu tun.
»Führt Ihr Mann einen Terminkalender?«, fragte Cowley. »Vielleicht auf seinem Schreibtisch?« Sie schüttelte den Kopf. »Keinen aus Papier. Es ist auf seinem Computer. Und natürlich auf seinem PDA Organizer.«
»Können wir den mal sehen?«
»Ja, selbstverständlich.« Rachel Norton führte sie wieder in die Eingangsdiele und von dort aus die Treppe hoch. Sie musste sich am Geländer festhalten und buchstäblich daran hochziehen. »Tut mir leid«, sagte sie, als sie schwer atmend oben angekommen war. »Ich bin derzeit ein bisschen schwerfällig auf den Beinen.«
Cowley sah sie von oben bis unten an. »Trevor freut sich bestimmt über das Baby?«
»Er ist völlig aus dem Häuschen«, sagte sie mit einem
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