Schuldig wer vergisst
umarmen können. »Setzen wir uns mit den Kollegen da oben in Verbindung. Wir haben sie gleich.«
Als sie wieder auf der Straße und nicht mehr weit von der schottischen Grenze waren, zog Callie ihr Handy hervor und rief Brian an. Es schien ihm nicht das Geringste auszumachen, er hörte sich nicht einmal sonderlich überrascht an, als sie ihm erklärte, dass sie an diesem Morgen nicht in die Kirche kommen könnte, weil sie auf dem Weg nach Schottland sei. »Ich schaffe das schon«, sagte er.
Sie war erleichtert.
Callie wusste, dass sie auch Marco hätte anrufen sollen, um ihm zu sagen, was sie hier gerade machten. Aber wenn er nun richtig sauer auf sie wäre? Sie würde es ihm lieber persönlich als am Telefon sagen.
Und dann Peter. Sie hatte ihn Samstagnachmittag auf dem Handy angerufen, um ihm Bescheid zu geben, dass sie und
Bella bei Morag waren. Er musste gestern Abend mit ihrer Heimkehr gerechnet haben und machte sich wahrscheinlich Sorgen. Callie sah auf die Uhr: Noch viel zu früh, um Peter anzurufen. Sein regelmäßiges Samstagabend-Engagement als Musiker führte dazu, dass er sonntags erst gegen Mittag ansprechbar war.
Es waren die Straßenschilder, die Alex stutzig machten. Zuerst war alles bestens gelaufen. Der nette Mann, der so wie Granddad ausgesehen und geklungen hatte, war nach Süden aus Edinburgh rausgefahren, Richtung Lauder und Jedburgh. An einem Punkt waren sie auf eine schmalere Straße abgebogen, und auf den Schildern hatte Gordon und Kelso gestanden, so weit, so gut.
Als sie dann aber Gordon erreichten, waren sie wieder abgebogen, und plötzlich war Kelso von den Schildern verschwunden.
»Wo fahren wir lang?«, hatte Alex gefragt. »Liegt Kelso nicht in der anderen Richtung?«
»Nur ein kleiner Umweg«, hatte er gesagt und sich lächelnd zu ihr umgedreht. »Keine Sorge, Mädel. Ich bringe dich schon nach Kelso. Ich kümmere mich um dich.« Dann nahm er eine Hand vom Lenkrad und streichelte ihr das Haar. Es war eine ganz leichte, kurze Berührung, doch sie zuckte darunter zusammen wie unter einem Stromschlag.
Ein paar Minuten später war er in eine Tankstelle eingebogen. »Benzin wird ein bisschen knapp«, sagte er. »Ich muss tanken, und ich kauf dir was zu naschen, ja?«
»Nein, danke«, sagte sie steif. Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, niemals Süßigkeiten von Fremden anzunehmen. Nicht einmal von solchen, die wie Granddad aussahen. Außerdem hatte sie ihr verboten, jemals zu Fremden ins Auto zu steigen. Wieso hatte sie nicht schon vor einer Stunde daran gedacht?
Er stieg aus und tankte den Wagen auf, dann ging er zum Bezahlen in den kleinen Laden.
Kaum war er drinnen, öffnete Alex die Beifahrertür und sprang hinaus. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, aber sie wusste, dass sie nicht länger in diesem Auto bleiben durfte.
Instinktiv rannte sie von der Tankstelle weg und suchte nach einem Versteck.
Die Straße entlang lagen ein paar Häuser verstreut. Vermutlich Ferienhäuser, die jetzt, außerhalb der Saison, nicht vermietet waren. Jedenfalls brannte in keinem davon Licht. Außerhalb des Lichtkegels der Tankstelle war es sehr dunkel. Vielleicht gar nicht mal so schlecht, dachte Alex. Wenn sie nicht viel sehen konnte, dann galt das Gleiche für ihn, und in diesem Moment wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass er sie auf keinen Fall sehen durfte. Von ihrer Angst angetrieben stürzte sie auf das nächstbeste Cottage zu und lief zur Rückseite herum. Sie stolperte über ein Gebüsch und prallte gegen einen halb zerfallenen alten Schuppen. Vielleicht ein altes Gartenhäuschen, dachte sie.
Die Tür hing lose an einem Scharnier. Alex zog sie auf und schlüpfte in die Dunkelheit. Dort stieß sie augenblicklich gegen einen Haufen auf dem Boden. Als sie mit den Händen darübertastete, stellte sie fest, dass es ein Stapel Brennholz war. Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg um die Holzscheite herum und drückte sich in den hintersten Winkel des Schuppens, um wieder zu Atem zu kommen.
Kaum eine Minute später hörte sie ihn. »Mädel!«, rief er. »Wo bist du denn?«
Zwischen einigen Brettern der Schuppenwände klafften breite Ritzen, durch die jetzt das Licht einer Lampe blitzte. Er hatte eine Taschenlampe, die er in alle Richtungen schwenkte. Der Strahl kam immer näher.
Wieso hatte sie nicht das Handschuhfach aufgemacht und nach einer Taschenlampe gesucht? Jetzt war er im Vorteil – und er würde sie finden.
Alex hielt die Luft an und rührte sich nicht. Ihr Herz
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