Schuldig wer vergisst
ich, dann hab ich reelle Chancen.«
Neville schüttelte nachdenklich den Kopf. Er hätte wissen müssen, dass es in diese Richtung ging, auch wenn ihm schleierhaft war, wie Sid glauben konnte, seinen privaten Passionen frönen zu können, wenn er dienstlich dort war. Aber wieso nicht? Wenn Sid gehen wollte, umso besser. »Findagain. co?«, sagte er trotzdem. »Nach allem, was passiert ist, hätte ich eigentlich gedacht, Sie würden endlich aus Ihren Fehlern klug werden.«
Alex hatte das Gefühl, als wäre sie schon die ganze Nacht gelaufen. Zwar war es noch nicht ganz hell, doch der erste Lichtschimmer kroch gerade über den Horizont. Es musste bald Morgen sein.
Sie hoffte, dass sie es auch nicht mehr weit bis Kelso hatte. Alex wusste, dass sie auf der richtigen Straße war; auf dem letzten Schild hatte »3 Meilen« gestanden, und das war schon ein Weilchen her. Alex war noch nie in Kelso gewesen und hatte auch nicht die vollständige Adresse – sie wusste nur, dass »Loch« auf Wasser hindeutete. Sie folgte der Straße in die Stadt und stellte fest, dass das auffälligste Gewässer ein Fluss war. Es gab Wegweiser zur Abtei und zum Floors Castle, aber nirgends irgendeinen Hinweis auf einen See.
Es war Sonntagmorgen, wurde ihr bewusst, und die meisten Geschäfte hatten geschlossen. Endlich entdeckte sie eine Tafel auf dem Bürgersteig vor einem Zeitungskiosk, auf der GEÖFFNET stand.
Der Mann an der Kasse war gerade damit beschäftigt, die Sonntagszeitungen zu sortieren, und als Alex einen Schokoriegel auf die Theke legte, sah er kaum auf. »Das macht dann dreißig Pence«, sagte er und hielt die Hand für die Münzen auf.
»Könnten Sie mir wohl sagen, wie ich nach Lochside komme?«, fragte Alex.
Er kratzte sich am Kopf. »Ach so, du meinst wahrscheinlich die Klapse. Außerhalb der Stadt. Künstlich angelegter See, kein richtiges Loch . Aber den Unterschied bemerken die Deppen da bestimmt gar nicht.« Er zeigte mit dem Finger in die Richtung. »Nach Eden Water raus. Etwa eine Meile. Ein Stück abseits von der Straße gelegen.«
Sie glaubte, sich an ein Schild zu erinnern, auf dem Eden Water gestanden hatte. »Danke«, sagte sie und nahm ihren Schokoriegel.
Der Mann hob den Kopf und sah sie zum ersten Mal bewusst an, dann fiel sein Blick auf den Stapel Zeitungen auf der Ladentheke. »Hey, bist du nicht das Mädel, nach dem sie suchen?«
Ihr Herz krampfte sich zusammen. »Nein, ich glaube nicht«, sagte sie ruhig und verließ den Laden.
Für den Fall, dass er ihr hinterherstarrte, widerstand sie der Versuchung, loszurennen. Außerdem war sie dafür viel zu müde.
Nachdem sie nun schon so lange unterwegs war, fiel ihr die letzte Meile am schwersten. Es ging bergauf; die Wintersonne stand in einem solchen Winkel, dass es sie unangenehm blendete und sie das kleine Schild nach Lochside fast übersehen hätte. Und die Aussage »ein Stück abseits von der Straße« war auch stark untertrieben: Die gefrorene Einfahrt schien fast noch einmal so lang wie der Weg aus der Stadt zu sein.
Doch dann war sie endlich da. Es war ein großes Steingebäude, das sich hinter der kreisförmigen Zufahrt in die Höhe reckte; der See lag auf der Rückseite.
Hinter ihr fuhr ein Wagen vor und hielt an; eine Tür ging auf.
Endlich konnte Neville nach Hause. Cowley hatte sich auf den Weg nach Schottland gemacht, Evans genoss zweifellos die ausgiebigen Tauffeierlichkeiten, und der Vize bereitete sich auf die nächste Pressekonferenz vor.
Er wollte nicht einmal nachzählen, wie viele Stunden es her war, seit er das letzte Mal in seinem Bett geschlafen hatte. Viel zu viele. Er würde auch ohne einen Drink fest schlafen, und aller Kaffee der Welt würde ihn nicht mehr wach halten.
Neville zog sich nicht einmal aus; er warf sich einfach aufs Bett – und war weg.
Und dann war es wie eine Wiederholungssendung vom letzten Morgen: Das Telefon klingelte endlos.
Er rappelte sich mühsam hoch. »Zum Teufel«, murmelte er und tastete um sich. Sollte er denn nie mehr Schlaf bekommen? Das war schlimmer als ein Albtraum.
Es war jemand vom Revier. »Wir haben einen Anruf vom Krankenhaus bekommen, wegen Rachel Norton«, sagte er. »Sie soll mit ihrem Baby entlassen werden. Die sagen, sie könne nach Hause gehen, aber Sie hätten gesagt, Sie wollten unterrichtet werden. Was sollen die machen?«
Neville zögerte nicht. Das war sein Fall, und zwar seit sie Trevor Nortons Leiche aus dem Kanal gezogen hatten, und er würde ihn zu Ende
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