Schuldig wer vergisst
sie ihn. »Ich hab sie für Angelina gekauft. Sind ihre Lieblingskekse.«
»Wann kommt sie nach Hause?«
Für den Bruchteil einer Sekunde – so kurz, dass Mark nicht sicher war, ob er sich das nur eingebildet hatte – huschte ein Schatten über Serenas Gesicht. »Ich weiß es nicht genau.
Ihr Semester ist nächste Woche zu Ende. Aber sie sagt, sie kommt erst ein paar Tage vor Weihnachten heim. Wahrscheinlich nicht rechtzeitig für Chiaras Krippenspiel.«
»Oh, ich bin sicher, sie richtet es irgendwie ein, wenn sie kann.«
An diesem Punkt bestand an Serenas Ausdruck kein Zweifel mehr: Sie war nicht glücklich. »Das ist nicht die ganze Geschichte«, sagte sie gedehnt.
Mark hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Angelina war ein intelligentes, vernünftiges Mädchen, das ihren Eltern keine unnötigen Sorgen bereitete.
»Sie hat einen neuen Freund«, platzte Serena heraus.
Das war kaum verwunderlich, da sie nicht nur intelligent und vernünftig war, sondern auch ein hübsches Mädchen, gerade mal zwanzig, und im zweiten Studienjahr. Eher erstaunlich, dass es bis jetzt gedauert hatte. »Und? Wo liegt das Problem?« Noch während er die Frage aussprach, wusste Mark, mit einem mulmigen Gefühl im Magen, wo das Problem lag. »Er ist kein Italiener«, sagte er betont.
»Nein. Er ist kein Italiener. Er ist auch kein Engländer. Er ist … nun ja, er ist aus Hongkong. Ein Chinese. Und sie bringt ihn zu Weihnachten mit nach Hause.«
Tapferes Mädchen, dachte Mark. Sie musste wissen, was ihr bevorstand.
Serena verfolgte mit dem Finger das Muster auf dem Tischtuch. » Mir soll’s recht sein. Solange sie glücklich ist. Mir ist es egal, ob er Italiener oder … oder Indianer ist.«
»Aber Joe ist es nicht egal«, vermutete er.
»Joe war auf hundertachtzig. Pazzo. Ist stinksauer durchs Haus marschiert, hat ein Riesentheater gemacht.« Sie schüttelte den Kopf. »Na ja, er ist immerhin ihr Vater. Die beiden … das war schon immer was Besonderes.«
»Aber schließlich bedeutet das doch nicht, dass sie den Chinesen auch heiratet«, wandte Mark ein. »Er ist ihr erster
Freund. Muss doch nicht unbedingt gleich was Ernstes sein.«
»Wenn es nichts Ernstes wäre, würde sie ihn nicht mit nach Hause bringen«, erklärte Serena. »Sie muss wissen, was ihr Vater davon hält. Außerdem«, fügte sie hinzu, »war Joe mein erster Freund. Papa war Mammas erster Freund.«
Ja, dachte Mark, in dieser Familie nahmen sie Beziehungen ernst. Das war Teil des Problems. Das war Teil seines Problems. »Was ist mit … Mama?«, fragte er. »Hast du es ihr schon erzählt?«
Serena seufzte. »Nein. Noch nicht. Ich überlege immer noch, wie ich es ihr beibringen soll. Du weißt, was sie sagen wird, was sie immer sagt: ›Mogli e buoi die paesi tuoi.‹ «
Es war in der Familie ein geflügeltes Wort, das auf Italienisch poetisch, auf Englisch eher prosaisch klang und demzufolge Ehepartner und Rinder immer aus dem eigenen Land stammen sollten. »Ja«, stöhnte Mark, »genau das wird sie sagen.«
»Vielleicht erzähle ich es Papa, und der soll es ihr dann beibiegen. Aber das wäre ganz schön feige.«
»Nun denn«, sagte Mark, »wie’s aussieht, werden wir auf jeden Fall ein interessantes Weihnachtsfest haben.« Er trank seinen Kaffee aus und stand auf. Jetzt war ganz offensichtlich nicht der richtige Zeitpunkt, um Serena mit seinem Problem zu belasten. Das musste warten.
Es war Freitag, und Callie hatte keinen Dienst. Sie hatte noch keine Pläne gemacht und hoffte, dass Marcos Terminkalender ihnen ein bisschen Zeit miteinander ließ. Allerdings hatte er ihr am Donnerstagabend gesagt, er hätte bis abends zu tun.
Der Regen prasselte unaufhörlich herunter, sodass sie Bella nur zu einem kurzen, zügigen Spaziergang am Rand des Hyde Park mitnehmen konnte. Trotzdem war der Hund
klatschnass – er musste abfrottiert und gebürstet werden. Danach nahm Callie ein ausgiebiges, erfrischendes Schaumbad, wie sie es sich an den anderen sechs Tagen der Woche nicht leisten konnte. Anschließend zog sie Jeans und einen bunten Ringelpulli an – am Freitag kein Hundehalsband, wie sie ihren weißen Kragen manchmal im Stillen für sich nannte.
Während sie in der Wanne saß, hatte sie überlegt, ob sie ein paar Weihnachtsdekorationen für die Wohnung kaufen sollte. Vielleicht sogar einen Baum und eine Lichterkette. Andererseits brachte das Wetter einen nicht gerade in Festtagsstimmung. Außerdem wäre es nett, das mit Marco zusammen zu tun.
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