Schuldig wer vergisst
eine Banane und eine Tüte Chips. Vielleicht fand sich im Kühlschrank ein Fertiggericht, das einigermaßen essbar war. Alex zog die Edelstahltür auf und wühlte im Kühlschrank herum, bis sie eine kleine Portion Käsemakkaroni fand, sie mit zur Mikrowelle nahm und den Snack hineinwarf.
»Was glaubst du eigentlich, was für Spielchen du hier treiben kannst?«, sagte plötzlich eine wütende Stimme hinter ihr. Alex wirbelte herum, und als sie sich der stirnrunzelnden Jilly gegenübersah, schlug ihr das Herz bis zum Halse.
Jetzt wurde es ernst, so viel war Alex klar. Alex runzelte oft die Stirn und ihr Dad ebenso, doch Jilly hielt absolut nichts davon; das machte Falten, rief sie ihnen oft genug ins Gedächtnis.
Alex schaute auf ihre nassen Schuhe herunter und auf die Spur, die sie quer über den Küchenboden hinterlassen hatten. Das würde Jilly überhaupt nicht gefallen. Tja, zu dumm aber auch, dachte sie trotzig.
Jilly hatte jedoch Wichtigeres im Kopf. Es stellte sich heraus, dass sie gerade mit ihrer Schwester beim Einkaufen gewesen
war, als die Direktorin Melanie auf dem Handy anrief: Melanies beide Töchter waren in eine Balgerei verwickelt worden, und zwar – dreimal durfte man raten – mit Alex. »Handgreiflichkeiten an der Schule«, sagte Jilly und verzog den Mund. »Wie … gewöhnlich. Und wie kannst du es wagen, auf deine eigenen Kusinen loszugehen! Das ist ungeheuerlich!«
»Sie sind nicht meine Kusinen«, machte Alex ihr wütend klar. »Sie sind nicht mit mir verwandt, Gott sei Dank! Und ich bin überhaupt nicht auf sie losgegangen! Sie haben angefangen!«
»Das wage ich doch sehr zu bezweifeln«, erklärte Jilly. »Sie sind … junge Damen. Sie sind ordentlich erzogen. Sie haben Manieren. Die beiden sind nicht verwildert.«
»Ich schon, ja? Willst du mir das sagen?«
»Deine Mutter war eben zu sehr mit diesem Laden beschäftigt, anstatt sich um ihre Familie zu kümmern! Hat ihren Mann und ihr Kind vernachlässigt und deine Erziehung dieser irren Alten überlassen!«
Alex riss wie unter Schock die Augen auf; sie hatte das Gefühl, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube bekommen, der ihr die Luft nahm. Glaubte Jilly tatsächlich, was sie da sagte? Hatte sie das vielleicht von Dad?
Sie holte tief Luft und brüllte: »Meine Mutter hat mich nicht vernachlässigt! Wie kannst du so was sagen? Und meine Granny ist auch keine Irre!«
Jilly verschränkte die Arme vor der Brust und redete weiter, als hätte sie Alex’ Ausbruch gar nicht gehört. »Und was diesen Blödsinn betrifft, den du den Mädchen aufgetischt hast, du hättest einen Freund – also, das ist einfach zu albern. Fällt dir nichts Besseres ein, als solche Lügenmärchen zu erzählen?«
»Ich lüge nicht«, zischte Alex zwischen den Zähnen hervor.
»Ach, komm schon. Sieh dich doch an! Einen Freund? Da lachen ja die Hühner.« Mit einer ruckartigen Kopfbewegung warf Jilly ihr kunstvoll frisiertes blondes Haar zurück.
Vor langer, langer Zeit, kurz nach der Hochzeit ihres Vaters mit Jilly, hatte Alex feierlich beschlossen, sich mit ihrer neuen Stiefmutter nicht in irgendwelche Streitereien hineinziehen zu lassen, sei es verbaler oder anderer Art. Bis jetzt war es ihr gelungen, sich daran zu halten, indem sie innerlich auf Tauchstation ging und sich ins Gedächtnis rief, dass Jilly etwas unterbelichtet war und es daher in jedem Fall ein ungleicher Kampf sein würde.
Noch nie war sie derart in Versuchung geraten, diese Stimme in ihrem Hinterkopf zu ignorieren, die sie warnte, es sei höchste Zeit, den Rückzug anzutreten. Sie wollte Jilly anschreien, ihr wehtun, mit Worten wie auch mit etwas, das selbst die dämliche Jilly verstehen würde: ihr an den perfekten blonden Haaren ziehen und ihr mit den Fingernägeln die perfekte rosa Haut aufkratzen.
Sie bot den letzten Funken Willenskraft auf, biss die Zähne zusammen, ballte die Fäuste, machte auf dem Absatz kehrt und steuerte ihr Zimmer an.
»Wo willst du hin?«, fragte Jilly fordernd in ihrem Rücken. »Ich will wissen, was mit diesem Medaillon ist, um das sich die ganze Aufregung drehte. Wieso hab ich noch nie ein Medaillon bei dir zu Gesicht bekommen?«
Alex ignorierte die Frage. Sie hatte die Tür zu ihrem Zimmer erreicht, marschierte hinein und knallte die Tür hinter sich zu. Unglücklicherweise gab es kein Schloss; also zerrte sie den Stuhl von ihrem Schreibtisch herüber und klemmte die Lehne unter die Klinke. Nur für alle Fälle.
Die Kette an ihrem Medaillon war
Weitere Kostenlose Bücher