Schuldig wer vergisst
umgetauscht werden konnte. Soweit Callie wusste, hatte ihre Mutter noch kein einziges ihrer Geschenke behalten. Es war jedes Jahr aufs Neue vergebliche Liebesmühe. Wieso machte sie es dann überhaupt noch? Aus reiner Gewohnheit wahrscheinlich. Möglicherweise war es auch eine Art Sportsgeist: Vielleicht würde ihre Mutter eines Tages ein Weihnachtsgeschenk auspacken und sagen: »Ach, Callie, das ist perfekt – ich liebe es!« statt »Dieses Blau fand ich schon immer grässlich« oder »Das ist viel zu groß für mich, da versinke ich ja drin!« Callie versuchte, auf Nummer sicher zu gehen, und entschied sich für einen Morgenmantel in einer Farbe, die sie fast im selben Ton bereits an ihrer Mutter gesehen hatte. Der Mantel war weich und anschmiegsam, aber sie war sicher, dass Laura Anson dennoch das Haar in der Suppe finden würde. Wenn das Unvermeidliche geschah, würde sie ihn vielleicht gar nicht umtauschen, sondern selbst behalten und ihrer Mutter das Geld geben, um sich etwas anderes dafür zu kaufen.
Wenigstens brauchte sie sich dieses Jahr keine Gedanken darüber zu machen, was sie Adam schenken sollte. Sie sollte, dachte Callie, für diese kleine Gunst des Schicksals dankbar sein. Dafür hatte sie das sehr schwierige Problem mit Marco zu lösen.
Sie dachte schon eine ganze Weile darüber nach. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde er ihr etwas überreichen, und sie musste sich revanchieren. Aber womit? Wie persönlich und wie teuer sollte es sein? Eine Schachtel Stofftaschentücher hätte sie völlig unpassend gefunden, aber genauso wenig konnte sie sich vorstellen, ihm etwas zum Anziehen oder etwas noch Persönlicheres zu kaufen.
Am Ende entschied sie sich für einen perfekten Kompromiss: Sie war beim Kauf von Peters Kochbuch darüber gestolpert und hatte sich mit einem Freudenschrei darauf gestürzt. Es war ein opulent ausgestatteter, großformatiger Bildband über Venedig. Sie war sicher, dass er ihm sehr gefallen würde. Sie konnte kaum abwarten, sein Gesicht zu sehen, wenn er das Päckchen öffnete und die Hochglanzseiten mit den prächtigen Fotografien durchblätterte.
Als sie sich den Tee eingoss, damit er abkühlte, und sich Marcos Freude über sein Geschenk vorstellte, war sie wieder bei dem Thema, das ihr seit Stunden im Kopf herumging: Marcos Anruf mit dem plötzlichen Vorschlag, im La Venezia zu essen, und seine Andeutungen, dass er ihr ein paar Offenbarungen machen musste. Noch dazu wichtige, wie es schien. »Dinge, die ich dir erklären muss«, hatte er gesagt.
Was für Dinge musste er ihr erklären? Und wollte sie diese Erklärungen wirklich hören? Auch wenn sie auf seine Familie neugierig war und sich oft genug gewundert hatte, wie ausweichend er über sie sprach, so schien diese Entwicklung doch eine neue Phase in ihrer Beziehung zu signalisieren, und Callie war sich nicht ganz sicher, ob sie dafür schon bereit war.
Sie hatte in letzter Zeit so viele Veränderungen in ihrem Leben verarbeiten müssen, allen voran die neue berufliche Stellung unmittelbar nach der Trennung von Adam. Und im Großen und Ganzen war die Beziehung mit Marco so, wie
sie im Moment war, sehr befriedigend. Wieso also etwas daran ändern? In Adam hatte sie sich verliebt und war Schritt für Schritt eine Bindung eingegangen, doch es hatte ihr nur Kummer eingebracht.
Andererseits genoss sie Marcos Gesellschaft sehr. Mehr noch: Zwischen ihnen stimmte die Chemie. Marco war gut aussehend und sexy; bei seinen Küssen hatte sie Schmetterlinge im Bauch. Aber es war nicht nur physisch. Von ihrer ersten Begegnung an hatte sie gemerkt, wie unbeschwert sie sich mit ihm unterhalten konnte, fast, als würden sie sich schon ein Leben lang kennen. In seiner Gegenwart konnte sie sich entspannen und sie selbst sein: keine Täuschungsmanöver, keine Spielchen. So etwas bekam man nicht alle Tage.
Schließlich wurde sie ja auch nicht jünger. Sie war jetzt dreißig. Heutzutage nicht gerade alt, doch früher oder später fing ihre biologische Uhr zu ticken an, und zurückstellen konnte sie sie nicht.
Wieso musste das Leben so kompliziert sein? War sie übertrieben vorsichtig, suchte sie nach Entschuldigungen, um Marco auf Distanz zu halten? Gerade erst verletzt, neue Stelle, neue Lebenssituation, angeborenes Misstrauen. Waren das alles nur Ausflüchte für Angst? War sie einfach nur ein Feigling, der mit Wandel und Entwicklung nicht fertig wurde?
Sie nahm einen Schluck Tee, bevor er ausreichend abgekühlt war,
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