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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ein halbes Flugzeug – der vordere Teil war für Frachtgüter reserviert.
    Â»Wie fühlst du dich?«, fragte Daniel.
    Â»Prima«, sagte Laura bemüht munter. »Es hätte ja auch eine Cessna sein können.«
    Als sie eben aussteigen wollten, drehte Daniel sich um und stülpte ihr die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf. Er zog die Kordel stramm und band sie ihr unter dem Kinn fest, so wie früher bei Trixie, als sie noch klein war und nach draußen wollte, um im Schnee zu spielen. »Es ist kälter, als du denkst«, sagte er und trat auf die herangerollte Treppe, die hinunter auf die Piste führte.
    Das war glatt untertrieben. Der Wind war ein Messer, das ihr in die Rippen schnitt, und jeder Atemzug fühlte sich an, als schluckte sie Glasscherben. Laura folgte Daniel über die Rollbahn und hastete in ein kleines, flaches Gebäude.
    Das Flughafeninnere bestand aus Stühlen, die in dichten Reihen aufgestellt waren, und einem einzigen Check-in-Schalter. Dort saß niemand, weil die einzige Angestellte damit beschäftigt war, die Passagiere für den nächsten Flug durch den Metalldetektor zu schleusen. Laura sah zwei Eskimomädchen, die eine ältere Frau umarmten. Alle drei weinten, während sie sich Schritt für Schritt dem Gate näherten.
    Die meisten Schilder waren in Englisch und Yupik. »Heißt das Toilette?«, fragte Laura und zeigte auf eine Tür mit der Aufschrift ANARVIK.
    Â»Na ja, es gibt kein Yupik-Wort für Toilette«, sagte Daniel mit einem schwachen Lächeln. »Das da heißt wörtlich ›Platz zum Scheißen‹.«
    Gleich hinter der Tür öffneten sich zwei Räume. Der Bereich für Herren oder Damen war nicht gekennzeichnet, aber Laura entdeckte ein Urinal in dem einen Raum, also entschied sie sich für den anderen. Die Wasserhähne wurden per Pedal geöffnet. Sie trat auf eines, bis Wasser kam, und benetzte sich das Gesicht. Dann betrachtete sie sich im Spiegel. Sie hatte den Gedanken, dass sie nun endlich planvoll vorging. Gemeinsam mit Daniel. Laura wischte sich die Hände an der Jacke ab und trat nach draußen, wo die Eskimomädchen noch immer in Tränen aufgelöst waren und Daniel aus dem Fenster sah.
    Laura stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und ging auf ihn zu.

    Trixie zitterte so heftig, dass sie immer wieder die Schicht aus welkem Gras abschüttelte, mit der Willie sie beide zugedeckt hatte. Diese Decke konnte man nicht einfach bis an die Ohren ziehen. Man musste sich hineinwühlen und warme Gedanken denken und das Beste hoffen. Ihre Füße schmerzten noch immer, und die Haare waren ihr am Kopf festgefroren. Sie wollte wach bleiben – schlafen war ihr unheimlich, als würde sie sich der Grenze zum Tod zu weit nähern.
    Willies Atem hing als weiße Wölkchenschnur in der Luft. Er hatte die Augen geschlossen, was bedeutete, dass Trixie ihn anstarren konnte. Sie überlegte, wie es wohl war, hier aufzuwachsen, zu wissen, wie man ohne fremde Hilfe überlebte, wenn man von einem Schneesturm überrascht wurde. Sie fragte sich, ob ihr Vater das auch wusste.
    Â»Bist du wach?«, flüsterte sie.
    Willie machte die Augen nicht auf, aber er nickte kaum merklich.
    Es gab eine warme Zone zwischen ihnen. Sie lagen einen halben Meter voneinander entfernt, und zwischen ihren beiden Körpern war Gras aufgehäuft, aber jedes Mal wenn Trixie sich in seine Richtung drehte, spürte sie Wärme, die durch das Stroh geleitet wurde, wie Licht von einem fernen Stern. Als sie dachte, dass er es nicht merken würde, schob sie sich behutsam ein klein wenig näher an ihn heran.
    Â»Hast du mal jemanden gekannt, der hier draußen gestorben ist?«, fragte Trixie.
    Â»Ja«, antwortete Willie. »Deshalb baut man sich auch keine Höhle in Schneeverwehungen. Wenn du stirbst, findet dich da keiner, und dein Geist kommt nie zur Ruhe.«
    Trixie spürte, wie ihre Augen feucht wurden, und das war furchtbar, weil ihre Wimpern fast augenblicklich wieder zufroren. Sie dachte an die Leitern, die sie sich in die Arme geschnitten hatte, nur um realen Schmerz zu fühlen statt dieser Qual, die an ihrem Herzen fraß. Tja, hier hatte sie bekommen, was sie wollte, oder etwa nicht? Ihre Zehen brannten wie Feuer, ihre Finger waren dick geschwollen und taten weh. Sie dachte an die hauchdünne Rasierklinge, die über ihre Haut glitt, und es kam ihr

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