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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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vergleichsweise lächerlich vor, ein Drama für jemanden, der keine Ahnung von Tragödien hatte.
    Vielleicht musste man nur begreifen, dass man tatsächlich sterben konnte, und schon hörte man auf, es zu wollen.
    Trixie wischte sich über die Nase und drückte die Fingerspitzen auf ihre Wimpern, um das Eis zu schmelzen. »Ich will nicht erfrieren«, sagte sie leise.
    Willie schluckte. »Na ja … es gibt eine Möglichkeit, wärmer zu werden.«
    Â»Welche?«
    Â»Sich ausziehen.«
    Â»Oh ja, klar«, schnaubte Trixie.
    Â»Im Ernst.« Willie wandten den Blick ab. »Wir müssten uns beide … und dann eng aneinanderlegen.«
    Trixie starrte ihn an. Sie wollte seinen Körper nicht spüren. Sie musste daran denken, was das letzte Mal passiert war, als sie einem Jungen so nah war.
    Â»Das macht man einfach so«, sagte Willie. »Es hat nichts zu bedeuteten. Mein Dad hat sich schon mit anderen Männern zusammen nackt ausgezogen, wenn sie über Nacht irgendwo festsaßen.«
    Trixie fragte sich, ob ihr Vater so etwas jemals getan hatte.
    Â»Beim letzten Mal musste mein Dad die ganze Nacht mit dem alten Ellis Puuqatak zusammenliegen. Er hat geschworen, er würde nie wieder ohne Schlafsack aus dem Haus gehen.«
    Trixie sah, wie Willies Worte in der Kälte zu Kristall wurden, jedes so einzigartig wie eine Schneeflocke, und sie wusste, dass er die Wahrheit sagte. »Du musst erst die Augen zumachen«, sagte sie unsicher.
    Sie zog Jeans, Anorak und Pullover aus. Sie behielt Slip und BH an, weil alles andere undenkbar war.
    Â»Jetzt du«, sagte Trixie und schaute weg, als er Jacke und Hemd auszog. Aber heimlich sah sie doch hin. Sein Rücken hatte dieselbe Farbe wie die Haut einer Mandel, und seine Schulterblätter bewegten sich wie Kolben. Als er seine Jeans abstreifte, schnappte er nach Luft, wie jemand im Schwimmbad, der sich anstellt, wenn er ins kalte Wasser geht.
    Willie breitete Gras auf dem Boden aus, legte sich dann hin und bedeutete Trixie, es auch zu tun. Er zog ihre Jacken über sie beide, wie eine Decke, und verteilte zum Schluss noch mehr Gras darüber.
    Trixie presste fest die Augen zu. Sie hörte das Stroh rascheln, als er sich näher schob, und spürte die trockenen Halme, die zwischen ihnen eingeklemmt wurden, hart auf ihrer nackten Haut. Willies Hand berührte ihren Rücken, und sie erstarrte, als er sich an sie schmiegte, seine Knie in ihre Kniekehlen drückte. Sie bemühte sich, tief und regelmäßig zu atmen. Sie versuchte, nicht an den letzten Jungen zu denken, den sie berührt hatte, den letzten Jungen, der sie berührt hatte.
    Das Brennen begann, wo seine Finger auf ihrer Schulter lagen, und breitete sich bis zu jedem Fleck aus, wo ihre Haut auf seine traf. Sie lag eng an Willie gedrückt und Trixie merkte, dass sie nicht an Jason oder die Nacht der Vergewaltigung dachte. Sie fühlte sich nicht bedroht und nicht mal verängstigt. Sie fühlte sich einfach nur warm, zum ersten Mal seit Stunden. »Hast du jemanden in unserem Alter gekannt«, fragte sie, »der gestorben ist?«
    Willie zögerte einen Moment, doch dann antwortete er. »Ja.«
    Der schneidende Wind peitschte auf die Plane und ließ ihr loses Ende auf- und niederklatschen. Trixie öffnete die geballten Fäuste. »Ich auch«, sagte sie.

    Offiziell war Bethel eine Stadt. Mit seinen gerade mal sechstausend Einwohnern hatte es immerhin für dreiundfünfzig Dörfer entlang des Flusses Hauptstadtcharakter. Es gab ein Straßennetz von lediglich dreizehn Meilen, die meisten davon nicht asphaltiert. Daniel öffnete die Tür des Flughafenterminals und wandte sich zu Laura um. »Wir nehmen ein Taxi«, sagte er.
    Â»Hier gibt’s Taxis?«
    Â»Die meisten Leute haben kein Auto. Wenn du ein Boot und einen Motorschlitten hast, bist du schon ziemlich gut ausgestattet.«
    Am Steuer des Taxis saß eine zierliche asiatisch aussehende Frau, auf dem Kopf einen gewaltigen Haarknoten. Sie trug eine falsche Gucci-Sonnenbrille, obwohl es noch immer dunkel war. Im Radio war Patsy Cline zu hören. »Wohin möchten Sie?«
    Daniel zögerte. »Fahren Sie einfach los«, sagte er. »Ich sag Ihnen dann, wo Sie halten sollen.«
    Die Sonne hatte es endlich doch noch über den Horizont geschafft und sah aus wie ein Eigelb. Daniel starrte aus dem Fenster in die Landschaft: flach wie ein Pfannkuchen,

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