Schuldig
dass er aufgrund einer schrecklichen Beschuldigung hatte davonlaufen wollen, auch vor sich selbst.
Daniel nahm den Radierer und rubbelte den unvollendeten Falken weg. Vielleicht sollte er mit Duncan-dem-Menschen anfangen anstatt mit Wildclaw-dem-Tier. Er nahm seinen Bleistift und fing an, die lockeren Ovale und Verbindungsstriche zu zeichnen, aus denen allmählich sein ungewöhnlicher Held Gestalt annahm. Kein Spandex, keine hohen Stiefel, keine Halbmaske: Duncans herkömmliche Verkleidung bestand aus einer abgetragenen Jacke, Jeans und Sarkasmus. Duncan hatte widerspenstiges dunkles Haar und einen dunklen Teint, genau wie Daniel. Er hatte eine Tochter in der Pubertät, genau wie Daniel. Und genau wie bei Daniel war alles, was Duncan tat oder nicht tat, mit einer Vergangenheit verknüpft, über die er kein Wort verlieren wollte.
Insgeheim zeichnete Daniel sich selbst.
Jason fuhr einen alten Volvo, der seiner GroÃmutter gehört hatte, bis sie starb. Zu ihrem achtundfünfzigsten Geburtstag hatte sein GroÃvater die Sitze in Rosa, ihrer Lieblingsfarbe, neu polstern lassen. Jason hatte Trixie erzählt, er habe am Anfang überlegt, sich wieder Polster in dem ursprünglichen hellbraunen Ton anzuschaffen, aber sollte man sich wirklich mit einer so groÃen Liebe anlegen?
Das Eishockeytraining war seit fünfzehn Minuten zu Ende. Trixie wartete in der Kälte, die Hände in die Jackenärmel gezogen, bis Jason mit Moss zusammen aus der Eishalle kam. Er hatte sich die wuchtige Hockeytasche über die Schulter gehängt, und er lachte.
Hoffnung gehörte ebenso pathologisch zur Pubertät wie Akne und tobende Hormone. Und wenn man der Welt ein zynisches Gesicht zeigte, so war das bloà ein Schutzmechanismus, wie ein Abdeckstift bei Pickeln, weil es zu beschämend gewesen wäre, irgendwem oder sich selbst einzugestehen, dass man trotz der Abfuhren, die man sich einhandelte, noch immer nicht ganz aufgegeben hatte.
Als Jason sie bemerkte, versuchte Trixie, nicht auf den Ausdruck zu achten, der kurz über sein Gesicht huschte â Bedauern oder vielleicht auch Resignation. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Tatsache, dass er allein auf sie zukam. »Hi«, sagte sie gelassen. »Kannst du mich nach Hause fahren?«
Er zögerte so lange, dass es ihr erneut fast das Herz zerriss. Dann nickte er und schloss sein Auto auf. Sie schob sich auf den Beifahrersitz, während Jason seine Sportsachen verstaute, den Motor anlieà und das Gebläse aufdrehte. Trixie gingen tausend Fragen durch den Kopf â Wie war das Training? Meinst du, es gibt wieder Schnee? Fehl ich dir? â, aber sie konnte nicht sprechen. Es war zu viel, hier auf dem rosa Beifahrersitz nur ein Stückchen von Jason entfernt zu sitzen, so wie sie schon zigmal neben ihm in diesem Auto gesessen hatte.
Er fuhr aus der Parklücke und räusperte sich. »Gehtâs dir besser?«
Als wann?, dachte sie.
»Du bist heute aus dem Unterricht gelaufen«, rief Jason ihr in Erinnerung.
Es kam ihr vor, als wäre das schon ewig her. Trixie strich sich die Haare hinter die Ohren. »Ja«, sagte sie und blickte nach unten. Sie musste daran denken, wie sie immer den Schaltknüppel festgehalten hatte, damit Jason automatisch ihre Hand ergriff, wenn er schalten musste. Sie schob die Hände unter die Oberschenkel und umklammerte den Sitzrand, um keine Dummheiten zu begehen.
»Was machst du eigentlich hier?«, fragte Jason.
»Ich wollte dich was fragen.« Trixie atmete tief ein, nahm all ihren Mut zusammen. »Wie machst du das?«
»Was denn?«
»Na, alles eben. In die Schule und zum Training gehen. Den Tag durchstehen. So tun, als ob ⦠als ob das mit uns nicht wichtig gewesen wäre.«
Jason fluchte leise und hielt wieder an. Dann streckte er die Hand aus und strich ihr mit dem Daumen über die Wange. Bis zu diesem Moment hatte sie gar nicht gemerkt, dass sie weinte. »Trix«, seufzte er, »es war wichtig.«
Jetzt lieà sie ihren Tränen freien Lauf. »Aber ich liebe dich«, sagte Trixie. Es gab keinen Hebel, den man umlegen konnte, um den Gefühlsstrom zu stoppen, keine Möglichkeit, die Erinnerungen vertrocknen zu lassen, die sich wie Säure in ihrem Magen sammelten, weil ihr Herz nicht mehr wusste, was es damit anfangen sollte. Sie machte Jason keinen Vorwurf; sie konnte sich so ja selbst nicht leiden. Aber sie konnte auch nicht
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