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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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den Balkan eingedrungen sind; auch der afrikanische Kontinent hat seine Spuren hinterlassen. Die Komposition ist nicht ganz geglückt, was das Aussehen betrifft. Der Mann wirkt irgendwie zusammengeflickt. Die Körperteile passen nicht recht zueinander. Sein Gebiss zum Beispiel erinnert an Dracula, die Zähne ragen in viele Richtungen, sind aber blendend weiß und gesund. Sein voller Mund hat etwas Negroides. Die ins Schwarze spielenden Augen sind das Faszinierendste an ihm. Diese Augen wirken immer interessiert, manchmal vergnügt, nie einschmeichelnd. Vor allem sind sie schön und intelligent.
    Der Mann ist kein Gewalttäter, obwohl seine muskulösen Arme und die geschmeidigen Bewegungen den Eindruck erwecken, als könnte er sich mit Leichtigkeit gegen jedermann verteidigen. Der Ungar ist etwa vierzig, und da er immer ein schwarzes T-Shirt und geflickte Jeans trägt, wirkt er jünger.
    Wer hierher in diesen Grill kommt und noch etwas Verstand im Schädel hat begreift meist, dass der Ungar ein guter Menschenkenner ist, der sich nichts vormachen lässt. Er hat harte Erfahrungen gesammelt und würde gern Erinnerungen an so manche Erlebnisse,. von denen die friedlich aufgewachsenen Einheimischen hier nur vor dem Video phantasieren können, für immer loswerden. Vielleicht versteckt er sich an dieser Stelle. Sicher ist, dass er glaubt, endlich der Verfolgung entkommen zu sein, und dass er nicht daran denkt, je wieder wegzugehen. Gelegentlich kommt es vor, dass die Kunden laut werden und auf die Straße gehen, um abzurechnen, aber die Prügeleien sind harmlos wie die zwischen Schuljungen.
    Niemand fordert ihn heraus. Die meisten behandeln den Ungarn mit großem Respekt, und viele kommen wieder, um mit großem Ernst seinen Ausführungen zu lauschen, wenn sie in verschlüsselten Worten ihre eigenen Probleme ausbreiten.
    Der Ungar arbeitet immer nachts und wird erst um sieben Uhr morgens abgelöst. Wie so oft schmeißt er auch in dieser Nacht den Laden ganz allein. Obwohl die Uhr halb vier am frühen Morgen zeigt, befindet sich etwa ein Dutzend Personen an der Theke. Die meisten aber hocken einsam an einfachen Plastiktischen. Einige der Männer hat man aus den Kneipen geworfen, sie wagen sich nicht nach Hause oder wagen nicht zu schlafen. Andere sind Zeitungsausträger, die bald mit dem Spießrutenlauf durch die Stadt beginnen werden. Zwei kleinwüchsige Finninnen mit kranken Augen und ihr Vorarbeiter, ein Landsmann, so hager, mürrisch und krumm wie eine Krüppelkiefer, bilden eine Putzkolonne, die die nächtliche Schwarzarbeit beendet hat, und die Stechuhr am eigentlichen Arbeitsplatz erst um Viertel nach sechs betätigen muss. Zwei junge Männer mit Rissen in der Hose fordern eine aus dem Weltraum eindringende Armada in einem Flipperautomaten heraus. Dies ist das einzige etwas lautere Geräusch, das man hört.
    Der Grill befindet sich auf einem Feld, das aus irgendeinem Grund unbebaut geblieben ist und vermutlich von den Stadtplanern vergessen wurde. Das Speisenangebot ist ebenso trist und eintönig wie an anderen vergleichbaren Orten, aber es gibt eine Ausnahme. Hier ist es möglich, Sandwiches mit echter ungarischer Salami, zu einem Drittel aus Eselsfleisch hergestellt, zu kaufen. Das alkoholhaltigste Getränk, das man zu trinken bekommt, ist ein Leichtbier, aber die meisten halten sich an Cola oder Limonade.
    Der Taxifahrer, der an der Theke lehnt und an einer Bratwurst kaut, trägt eine unglaublich zerrissene Lederjacke. Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt zusammenhält. Vermutlich ist die Jacke sein Protest gegen all die Schurigelei und Verlogenheit um ihn herum. Er hat das papageienartige Volk satt, das er gegen ein erbärmliches Trinkgeld von den In-Lokalen in ihre oft bedeutend bescheideneren Wohnviertel heimfährt. Dieser Taxifahrer würde nie eine unangemeldete Kontrolle – solche gibt es nämlich – bestehen; seine Kleidung ist ein offener Affront gegen alle Regeln der Beförderungsvorschriften. Andererseits hat er keine Angst, seinen Job zu verlieren. Der Taxiunternehmer würde über die Beschwerden nur grinsen und sie zu den Akten legen.
    Als Martin durch die Tür des Grills hereinkommt, wird er von demselben prüfenden Blick des Ungarn getroffen wie alle anderen neuen Gäste. Martin trägt eine Reisetasche und sieht gepflegt aus, jedenfalls aus der Ferne. Frisch gebadet und frisch rasiert, wie er ist, könnte man ihn für einen respektablen Mann halten, wären da nicht die kränklichen lila Schatten

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