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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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viel Aufhebens zu machen.
    Der Sagenkreis der Armen erinnert bei näherer Betrachtung an die griechische Mythologie, allerdings nur im primitiven Sinne des Wortes. Die Götter und Halbgötter, deren Gestalten ihre Gedankenwelt bevölkern, zeigen menschliche Eigenschaften und beschäftigen, wenn auch mit verzerrter und unverhältnismäßiger Übertreibung, durch ihre menschlichen Beziehungen die Phantasie der Armen. Die für die Erhaltung der richtigen Funktion des Gemeinschaftslebens unentbehrnichen weltlichen Organe und Einrichtungen verwandeln sich in den Augen der Armen in symbolische, mystische Gestalten.
    Wie schon erwähnt, halten die Armen den Reichen für ein übernatürliches Wesen. In ihrer einfältigen Phantasie erscheinen ihnen diese hohen und niedrigen Angestellten der weltlichen Institutionen wie Wesen mit übernatürlichen Kräften, die das Leben der Armen vom Augenblick ihrer Geburt an bis zum letzten Atemzug im Auge behalten und beeinflussen. Wenn der Arme auch weiß, wie uneigennützig und notwendig diese ununterbrochene Betreuung von seiten der menschlichen Gemeinschaft ist, so kann er sich doch von der fixen Idee nicht freimachen, daß diese weisen und mächtigen Wesen irgendwie mit dem Schicksal, dessen ausübende Organe sie sind, verwandtschaftliche Beziehungen unterhalten.
    Als solche vermögen diese Mächte in der Einbildung der zivilisierten Armen, gleich Geistern oder verwunschenen Seelen, unheilvolle und wundertätige Einflüsse auszuüben. Wie der Sagenkreis der Griechen und Rö-mer von Göttern, Halbgöttern, Dämonen und Musen, von Furien und Erinnyen, von Najaden und Plejaden, Penaten, Titanen und Sirenen wimmelt, so schwirrt es im Sagenkreis der Armen vom Grundbuchamt, vom Gendarmen, vom Bezirksamt, vom Bürgermeisteramt, vom Finanzamt, vom Polizeisergeanten, vom Amtsvorstand, vom Gesundheitsamt, vom Gerichtsvollzieher, vom Arbeitsamt, von der Krankenkasse, und ganz oben im Olymp, in selbst in Gedanken unerreichbarer Sphäre, schweben irgendwo der Generaldirektor, der Präsident, der Minister, der General, fast unsichtbar und dennoch allgegenwärtig. So groß ist die Zahl der Bewohner des Sagenkreises der Armen.
    Ihre Sagen, die sich aus den Taten dieser fast unpersönlichen mystischen Gestalten zusammensetzen, klingen monoton, wiederholen sich in ihren Grundgedanken und entbehren jeden Charmes. Die Tatsache, daß ein Mandarin oder ein Minister sich in einen ländlichen Bezirk verirrt hat und dort seine alte Amme mit einer Ansprache auszeichnete, kann zum Kern einer Sagenbildung werden, wie bei den Griechen der Besuch von Zeus auf Kreta, wo eine Ziege einfachen Ursprungs mit Namen Amalthea den Gott nährte und behütete.
    Wenn ein dem Armenstand entsprungener Schlachthauskönig aus dem Staate Massachusetts die europäische Kleinstadt aufsucht, der er als Schusterjunge bei Nacht und Nebel einst den Rücken gewandt hatte, um durch »Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit« in Amerika ein Vermögen zusammenzutragen, dann würden die Armen zu Ehren des in ihren Augen gefühlsmäßig geradezu überirdischen Besuchers am liebsten Umzüge mit Fahnen und Lobgesängen veranstalten. Die Hauptquellen ihres Sagenkreises sind die Anbetung und die Angst, die ihnen die vollstreckenden Organe des Schicksals einflößen. Sie wissen genau, daß es neben der Welt, in der es ihnen gestattet ist zu leben, noch eine andere Welt gibt, den Olymp, dem sich ein sterblicher Armer nicht nähern darf, höchstens in Gedanken, wie bei den Griechen, darum träumen sie nur von ihm. Sie träumen groteske Sachen: zum Beispiel, daß Rothschild täglich sein Hemd wechselt, sie träumen von Filmdiven, die sich in Ladenschwengel verlieben, oder sie träumen einfach von einer Welt, in der die Tugend ihren Lohn findet.
    Ihre Feste sind wenig unterhaltend und bei den seltenen Gelegenheiten, wo sie die Ausübung des Armseins unterbrechen, um sich dem Feiern zu widmen, von ehrfurchtsvoll befangener Achtung vor der Überlieferung gekennzeichnet. Als Vorwand für ihre Feste wählen sie die drei peinlichsten und traurigsten Augenblicke des Lebens: die Geburt, die Heirat und den Tod. Bei diesen Gelegenheiten unterhalten und bewegen sich die Armen mit einer Hilflosigkeit, die jeder Übung des Feierns entbehrt. Die Melodie und der Rhythmus ihrer Feste klingt in den Ohren der Reichen gewollt, wie der verkrampfte Vortrag der Bethlehem-Sänger auf dem Land. Diese drei armseligen Vorwände befriedigen ihr Bedürfnis nach Freude vollkommen. Am

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