Schule der Armen
Umdichtung lange diskutierte, gab mir kund, daß er sich seit acht Jahren in einen vornehmen und gebildeten Perser umgedichtet habe, der in geschäftlichen Angelegenheiten nach Budapest gekommen war, wo ihn verschiedene Überraschungen erwarteten. Nachdem er sein Geld verloren und man ihm seinen Paß abgenommen hatte, war er nicht mehr in der Lage, mit seiner Familie in Verbindung zu treten. Nun sitzt er gezwungenermaßen eine Zeitlang in dieser Stadt, paßt sich scheinbar den Schwierigkeiten dieses eher komischen als tragisch zu nehmenden Übergangszustands an und wartet auf die Gelegenheit, durch einen nach Persien reisenden ungarischen Geschäftsmann Briefe an seine Familie zu schicken, wonach sich alles wieder zum Besten wenden würde.
Im Laufe von vertraulichen Gesprächen gestand er mir, auf welche Weise er eigentlich hierhergekommen war – sein ursprüngliches Reiseziel war Bonn, wo er einen größeren Posten Teheraner Haarfärbemittel verkaufen wollte. Eine Frauengeschichte verschlug ihn jedoch nach Budapest – in diesen acht Jahren hat er sich hier erstaunlich gut eingelebt, unsere Sprache erlernt, an unseren Speisen, unserer Lebensweise und allen charakteristischen und sympathischen Eigenschaften des ungarischen Lebens Gefallen gefunden, und er gestand, so grotesk es auch klingen mag, daß er nur ungern in seine Heimat zurückkehren möchte, so sehr hatte er Budapest, die Ungarn und die Fischerbastei liebgewonnen. Unter vier Augen gab er mir ganz vertraulich zu verstehen, daß ihn – obwohl er in den letzten zwei Jahren mehrfach die Möglichkeit gehabt habe, den Kontakt mit seiner persischen Verwandtschaft aufzunehmen – eine seltsame Trägheit, ein gewisser innerer Widerstand, vielleicht auch der Zauber seines neuen Lebens, jedesmal zurückgehalten habe, von der Gelegenheit Gebrauch zu machen.
Mit der Zeit hat er Freundschaften geschlossen, auch manches Schwere erlebt, das stört ihn aber keinen Augenblick, da es sich ja sowieso nur um einen Übergangszustand handelt. Nebenbei erfuhr ich noch, daß sein Vater ein schwerreicher Teheraner Rechtsanwalt ist, daß sein mütterlich ererbtes Vermögen, achtzehn Ballen Henna, noch heute unberührt im Lager des Familienhauses liegt, daß er erstklassig erzogen wurde, die persische Handelshochschule absolvierte und verlobt war mit Kafma, der Tochter des Inspektors der Straßen in der Wüste Gobi. Bei einer Gelegenheit zeigte er mir sogar das Bild des jungen Mädchens, die Photographie stellte ein blühendschönes siebzehnjähriges Mädchen mit stark östlichem Einschlag in europäischer Kleidung dar, aus deren Augen viel Güte, Feuer und edler Verstand leuchteten, nebenbei erinnerte sie mich auffallend an eine gemeinsame Budapester Bekannte.
Auf meine Frage hin, ob er denn nach acht Jahren dieses armselige Leben nicht satt habe, erwiderte er lachend, daß er sich sehr wohl fühle, daß ihm nichts fehle und daß er die Atmosphäre dieser fremden Welt genieße, die Menschen seien reizend zu ihm, ließen ihn sogar hie und da zu einem kleinen Verdienst kommen, und wenn er in seinem verwanzten möblierten Zimmer in der Dessewfy utca aufwache, reibe er sich oft die Augen, blicke verwundert um sich, um dann in helles Lachen auszubrechen, so amüsant finde er die Umgebung, in die ihn Laune und Abenteuer verpflanzt hätten. Nun, da er auch noch unsere Sprache erlernt habe, liebe er uns und sehne sich nicht mehr fort. Es sei sogar nicht unwahrscheinlich, daß er sich endgültig hier niederlassen werde; während der großen persischen Feiertage bleibe er zwar zu Hause, bewundere Kafmas Bild und bete, sonst denke er aber monatelang nicht an die verlassene Heimat Persien.
Er müsse gestehen, daß er hier in mancher Beziehung freier lebe als zu Hause im Familienkreis, wo man auf jeden seiner Schritte achte, wo er über seine Handlungen Rechenschaft ablegen und sich kritisieren lassen müsse; und wenn er auch zugunsten seiner Freiheit manche Bequemlichkeit des Lebens zu Hause aufgegeben habe, so betrachte er die vielen Erfahrungen, mit denen er sich in dieser fremden Welt bereichert habe, als unbezahlbar; die schrankenlose Freiheit, das Fehlen gesellschaftlicher Verpflichtungen jeder Art, die vagabundierende Lebensweise ohne jede Verantwortung und nach eigenem Gutdünken entspreche seinem Temperament viel mehr als das reiche, jedoch gebundene und mit Vorurteilen gesättigte primitive Leben in Teheran. Zugegeben, daß er manche Tage nichts zu essen habe und selbst einen
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