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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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wenn der Arme mit Frauen in direkte Berührung kommt, so wird er von ihrer Anhänglichkeit sehr überrascht.
    Wie so manchen Irrglauben, so hat die Literatur auch die Legende verbreitet, die Frauen seien herzlos, und wenn sie sich für Geld jemandem hingeben, sagen wir einem Großhändler – diese peinliche Verirrung kommt sporadisch, aber dennoch vor –, so tun sie es unbeteiligt und mit geschlossenen Augen, nebenbei verachten sie den Großhändler aus tiefster Seele und denken an einen armen jungen Mann, der unten an der Straßenecke wartet und den sie lieben.
    In Wahrheit sind Frauen einer solchen Gemeinheit nicht fähig. Mehrere Frauen haben mir gestanden, daß sie für Männer, die sie bezahlten, sofort Liebe empfanden und sich ihnen auch aus Liebe hingaben. Schlechte Romane, besonders die unwahren psychologischen Romane des 19.   Jahrhunderts, zeichneten ein falsches Bild der Frauenseele. Die Frauen sind aufrichtig und heldenmütig ehrlich in ihrer Liebe, sie zahlen das Gute mit Gutem heim und verhalten sich, sowohl in der Ehe wie auch außerehelich, zart und temperamentvoll jenen Männern gegenüber, die sie entschädigen, denn so gebietet es ihnen ihr edles – und fast möchte man sagen ritterliches Gefühl der Ehre.
    Minder bewanderte Arme, Moralisten und verheiratete Frauen werden sich darüber empören, daß unser kleines Werk solch niedrigen und verächtlichen Mitteln wie dem Geld in den Beziehungen zwischen Mann und Frau eine so entscheidende Rolle beimißt. Viele werden es als eine wenig ritterliche und nicht eben vornehme Methode brandmarken, wenn jemand zum Zweck wissenschaftlicher Untersuchungen ausrechnet, wieviel das erste Abendessen mit einer geliebten Frau kostet, und bei der Analyse des Phänomens Liebe derartigen engherzigen Beobachtungen überhaupt Platz gibt.
    Solche Anschuldigungen treffen uns nicht, denn wir können bei der Verteidigung der objektiven wissenschaftlichen Forschungen auf abstrakte Wahrheiten nicht verzichten, und diese Wahrheit sieht in der Praxis so aus, daß das Liebesproblem der Armen an erster Stelle eine Geld- und an zweiter eine Wohnungsfrage ist. Wer dies bestreitet, war noch nie arm oder noch nie verliebt – und sicherlich nicht beides auf einmal.
    Im Besitz von Geld ist die Wohnungsfrage nebensächlich; andererseits ist es eine eigentümliche, jedoch häufig zu beobachtende Erscheinung, daß der Arme selbst in Ermangelung von Geld, jedoch im Besitz einer entsprechenden Wohnung, ziemlich ungestört zu den Freuden der Liebe gelangt. Es berührt mich schmerzlich, die Liebe nicht aus der erhabenen idealistischen Perspektive des Romanschriftstellers betrachten zu können, wie es ihr eigentlich zusteht. Das Lächeln des Eros halten wir sehr wohl für geeignet, das trübe menschliche Schicksal mit Licht und Sonnenschein zu vergolden, doch können wir die Beobachtung nicht verschweigen, daß Eros nur dann von ganzem Herzen und selbstvergessen lächelt, wenn er weiß, daß er für sein Lächeln später einmal zartfühlend entschädigt wird. Möglich, daß es Zeiten gab – das Goldene Zeitalter –, da Eros selbstlos, aus schierer guter Laune lächelte. Der Verfasser dieser Zeilen kennt jene Zeiten nur aus Ovids Gedichten.
    Die Diagnostiker der Liebe halten die Wohnungsfrage für einen nebensächlichen Faktor. Ihr Irrtum fällt geradezu aufreizend ins Auge, und ihr Leugnen ist dazu noch unaufrichtig. Die wenigsten Armen verfügen, in Tibet ebensowenig wie in der ungarischen Provinzhauptstadt Kecskemét, über jene sechzig Pengö, die in der ganzen Welt notwendig sind, um sich mit der Auserwählten in einem annehmbaren möblierten Monatszimmer zu treffen. Der Arme ist gezwungen, dies in viel billigeren Quartieren zu tun, und es wäre auf Grund gewissenhafter Untersuchungen ein dankbares Thema, den Zusammenhang zwischen der Wohnungsfrage und den Liebestragödien unserer Zeit einem eingehenden Studium zu unterwerfen.
    Die Orte und Gelegenheiten, an denen der Arme dem edelsten Gefühl der menschlichen Seele, der Liebe, meist Ausdruck zu geben gezwungen ist, glänzen geradezu von erniedrigender Geschmacklosigkeit und sind praktisch so ungeeignet zu diesem Zweck, daß Eros, statt zu lächeln, in gewissen Augenblicken sein Gesicht in den Händen vergräbt und weint. Die Kulissen des Liebeslebens eines Armen sind so traurig, die Bühne, auf der sich die ewige und ideale Auseinandersetzung abspielt, ist meist nur durch dünne Wände und schalldurchlässige Türen vom

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