Schule der Armen
Zeitalter unserer Zivilisation ist vorzugsweise durch das mit Mitleid vermengte Wohlwollen begründet, welches die Frauen, sogar gegen ihre bessere Einsicht, manchmal den Armen gegenüber befällt. Um der Wahrheit gerecht zu werden, wollen wir aber auch feststellen, daß die Frauen, die nicht nur viel intelligenter, sondern auch urwüchsiger sind als die Männer, sich bis zur äußersten Grenze der Möglichkeit davor hüten, der Verführung durch Mitleid nachzugeben; und sie finden sich erst dann bereit, ihr Herz einem Armen zu schenken, wenn die Zeit oder drückende wirtschaftliche Verhältnisse sie zwingen. Ihr Handeln ist ebenso grundgesund wie moralisch.
Die Legende vom Glück im Winkel haben nicht die Frauen erfunden und auch nicht weiterverbreitet, sondern die armen Männer. Schon seit Jahrtausenden hören sich die Frauen die werbenden Floskeln des Mannes mit Mißtrauen an und geben nur im äußersten Notfall ihre Einwilligung.
Wir kennen nur einen Faktor, der es dem Armen in Ermangelung von Geld ermöglicht, sich die Gunst der Frauen zu erschmeicheln: die Zeit. Sie gleicht einer wertbeständigen Geldnote, die mit sämtlichen Edelvaluten der Welt konkurrieren kann. Eines der Rätsel im Seelenleben der Frau ist die Tatsache, daß sie die Zeit, die ein Mann für sie verschwendet, genauso als Geschenk betrachtet und auch so einschätzt wie ein Perlenkollier oder eine große Note der Bank von England.
Die Frau sieht es gern, wenn der Mann ihr Opfer bringt; der Arme aber vermag nur eines zu opfern: seine Zeit. Der Arme stiehlt sogar meist die Zeit für die Frau. Die Frau hört dem Armen nur zerstreut zu, wenn er ihr Vorträge über den Kategorischen Imperativ oder über die Atomzertrümmerung hält; denn, wie wir schon früher ausgeführt haben, sie interessiert sich nicht für Bagatellen. Die vom Mann verschwendete Zeit jedoch betrachtet die Frau als wirkliches Geschenk, und es kommt ganz selten vor, daß sie eine reichliche Zeitverschwendung nicht belohnt. Vielleicht deshalb, weil nur die Frauen den wahren Wert der Zeit kennen, vielleicht auch, weil sie wissen, daß der Arme sein höchstes Gut opfert, wenn er seine Zeit für eine Frau verschwendet.
Der Arme, der über etwas Bargeld, eine entsprechende Wohnung und über reichlich freie Zeit verfügt, ist, selbst Reichen gegenüber, ein nicht zu unterschätzender Konkurrent. Diese drei Komponenten finden sich jedoch so selten bei einem Armen, daß es sich gar nicht lohnt, den Armen in der Praxis als ernsten Konkurrenten anzusehen.
Im primitiven Zeitalter, ebenso wie in den verflossenen Kulturepochen, betrachtet die gesunde Frau eher den vermögenden Greis als geeigneten Liebespartner als den jungen Mann, dessen männliche Anziehungskraft durch dürftige materielle Mittel in ihren Augen stark verringert wird.
Die Frauen wittern beim Manne die Armut wie der Einsiedler die Sünde. Du kannst der Frau Liebe, Treue und Glück vorschwindeln, aber es ist unmöglich, ihr vorzumachen, daß du Geld hast. Geld spüren sie selbst bei geschlossenen Augen, und gleich dem Rutengänger erbeben sie beim Herannahen an edle Metalle.
Dies ist eine achtunggebietende Eigenschaft und gleichzeitig auch der Grund, warum sich die Stellung des Armen zur Frau seit ewigen Zeiten fast hoffnungslos gestaltet.
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S eit Urzeiten hegen die Reichen den Verdacht, daß die Armen von Natur aus faul sind und ungern arbeiten. Diesem althergebrachten Glauben gaben sie bereits im Altertum Ausdruck. Schon im 14. Jahrhundert v. Chr. war Pharao Amenophis IV. gezwungen, seine Leibeigenen mit der Peitsche zu fleißigerer Arbeit anzuspornen. So handelten auch Ramses I. und II. wie auch Sethos I. und der aus der äthiopischen Dynastie stammende Taharka. Diese hervorragenden Pharaonen und Könige ließen von Zeit zu Zeit ihre Untertanen, die sonst nicht arbeiten wollten, auspeitschen.
Später waren es die assyrischen Könige, vor allem der berühmte Tiglatpileser III., der seine ärmeren Untertanen, die ohne Schläge ihrem König die Arbeit verweigerten, regelmäßig prügeln ließ. Merodachbaladan II., einer der bedeutendsten babylonischen Könige, ebenso wie der König der Könige, Nebukadnezar II., der 587 v. Chr. mit seinen Heeren Jerusalem eroberte und die Juden in die Gefangenschaft trieb, waren gezwungen, die Ohren ihrer Untertanen abzuschneiden, damit sie fleißiger arbeiteten.
In allen geschichtlichen Perioden finden wir Spuren solcher ermunternden Handlungen der großen Könige und
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