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Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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überhaupt der Mächtigen der Welt, die sie anwandten, um den Armen die Faulheit auszutreiben. Die Bilderschriften, die Hieroglyphen und die Keilschriften übermitteln uns alle die Nachricht, daß die Armen schon im Altertum nur unwillig arbeiteten und daß sie die Pyramiden und Tempel, die noch heute von den Reichen auf ihren Reisen in die Wüste bewundert werden, ohne jede Begeisterung erbauten. Die großen Bauherren, die Könige und Feldherren, spornten durch ihre peitschenbewaffneten Aufseher die Armen des Altertums zur Arbeit an, obwohl diese sich, sobald die Aufmerksamkeit des Aufsehers erlahmte, am liebsten auf einen Steinhaufen gesetzt, Zwiebeln gekaut und dem lieben Herrgott den Tag gestohlen hätten. Darum verzeichnen auch die assyrischen Gesetzestafeln strenge Strafen gegen die gemeingefährlichen Arbeitsscheuen.
    Eine durch Schuldbewußtsein ausgelöste schleichende Spannung charakterisiert bereits im Altertum das Verhältnis der Pharaonen zu den Armen. Natürlich verspürten nicht die Pharaonen das Schuldbewußtsein, es lag ja kein Grund dazu vor – denn hochherzig, wie sie waren, trieben sie die nichtstuende Menschheit zu unsterblichen Taten an –, sondern die Armen waren von Gewissensbissen gequält, weil sie nicht genügend arbeiteten. Diese krankhafte Faulheit der Armen kann epidemisch auftreten, und es kommt vor, daß Hunderte Millionen von Menschen arbeitslos herumlungern.
    In China und überhaupt im Fernen Osten arbeitet die Hälfte der Bevölkerung nicht richtig, sondern tut nur so. Vor gar nicht so langer Zeit hat man auch in Europa Ähnliches beobachtet, ja, sogar in Nordamerika, wo, nach den letzten Berechnungen, 25   Millionen Menschen mit den Händen im Schoß feierten. Ihre mit großem Tamtam aufgezogenen Scheinproteste, nach denen sie zwar Arbeit suchen, aber keine finden, können die Machthaber der Welt nicht täuschen, denn diese wissen sehr wohl, daß den Armen, vom Straßenbau bis zur Aufforstung der Sahara, unbeschränkte Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung stehen, die sie mangels einer besseren Beschäftigung ergreifen könnten.
    Darum waren die Beziehungen der Armen zu den Pharaonen bereits im Altertum vom bösen Willen geleitet. Das Mißtrauen der Armen verschleierte gewissermaßen nur ihren natürlichen Urinstinkt, die Faulheit, dabei übersahen und unterschätzten sie die Bedeutung des Opfers, das ihre Arbeitgeber bei der Einführung des Arbeitszwangs auf sich nahmen.
    Es war schwierig, die Armen des Altertums davon zu überzeugen, daß die spekulationslose Arbeit, die Arbeit als solche, dem Menschen das höchste Glück der Welt zu bedeuten vermag und daß zwölf Stunden schwere Feldarbeit pro Tag auf einem nicht einmal ihm gehörenden Gut am Ufer des Nils eine der größten Gnaden ist, mit dem die Götter den Menschen auf Erden beschenkt haben; dem Tier etwa wird diese Gnade nur selten zuteil. Die Unterschiedlichkeit, mit der die Pharaonen und ihre armen Untertanen die Arbeit bewertet haben, könnte man mit dem philosophischen Fachausdruck »ewiger Dialog« bezeichnen; er ist heute ebenso laut und aktuell wie zur Zeit Merodachbaladans II. Die Abfassung der dialektischen Fragen ist heute vielleicht präziser, die Urthesen des Dialogs jedoch sind die gleichen.
    Die sonderbare Neigung des Armen zur Arbeitslosigkeit habe ich an mir selbst beobachten können, und wie bei den meisten Armen, so ist die Faulheit auch einer der Charakterfehler des Autors dieses Buchs. Mein Abscheu vor einer Arbeit, von der ich weiß, daß sie mir keine besonderen Resultate einbringen kann, wurzelt so tief in meinem Wesen, daß ich, um ihn zu verschleiern, gezwungen bin, allerlei eigentümliche Verfahren anzuwenden. Von dem Gedanken ausgehend, daß meine Faulheit unbemerkt bleibt und daß man mich mehr oder weniger in der Gemeinschaft duldet, verberge ich meine tiefe, fast grenzenlose Faulheit – allerdings gegen meine bessere Einsicht und meinen Geschmack – meist mit gesteigerter, angestrengter Arbeit. Diese bewährte Methode beobachtete ich auch bei anderen Armen.
    Die Arbeitslosigkeit, die man als Krebsübel der menschlichen Gesellschaft zu bezeichnen pflegt, bedeutet für die meisten Armen in Wirklichkeit keinen außergewöhnlichen Zustand und auch in ihren Auswirkungen keine unbekannte, vom Urzustand auffällig abweichende Lage, wie es die Volkswirtschaftler im allgemeinen glauben und nachweisen.
    Die Arbeitslosigkeit trifft nur eine dünne Schicht der Gemeinschaft der Armen empfindlich, der

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