Schule für höhere Töchter
verstecken heißt, sich Ängsten auszusetzen, die der Kopf vielleicht »fortdenken« kann, auf die der Magen jedoch deutlich reagiert. Sich wie ein Verbrecher zu verstecken, auch wenn die Gründe fraglos verständlich waren, konnte kein einfaches Unterfangen sein. Und dann plötzlich, ganz ohne Vorwarnung – denn sicher kamen sie lautlos näher – zwei geifernden Bestien gegenüberzustehen, na ja, vielleicht nicht gerade geifernd, aber Miss Tyringham hatte gesagt, daß sie die Zähne fletschten, und bestimmt hatten sie geknurrt, als er zurückwich. Wie hätte der Junge wissen sollen, daß sie ihn nicht angreifen würden, und selbst wenn er es gewußt hätte, hätten seine bebenden Nerven ihm das geglaubt? Kate wußte, daß sie sich für viele Nächte nicht würde befreien können von dieser Vorstellung, die zwar nur eine Vorstellung, aber sicher nicht übertrieben war. Kein Wunder, daß er zurückgewichen, gefallen und verletzt war – vielleicht war er vor Angst ohnmächtig geworden. Kate fragte sich, ob Miss Tyringham sich die Szene in diesen schrecklichen Farben ausgemalt hatte. Um Gottes willen, sagte Kate zu sich selbst, natürlich hat sie das; soviel Verstand und Vorstellungskraft muß ich ihr schon zugestehen.
»Und nun haben wir Sie hergerufen, meine Liebe«, fuhr Miss Tyringham fort, »weil Angelica, nachdem Mrs. Banister sie ein wenig beruhigt hatte, im einzigen zusammenhängenden Satz, zu dem sie fähig war, sich mit Antigone verglich, die ihren Bruder verteidigt. Sie schluchzte, daß wahrscheinlich Sie die einzige seien, die das verstehen könnte; mehr wollte oder konnte sie nicht sagen. Nun sind Sie dran und können hoffentlich das Mädchen wieder zu sich bringen.«
»Sie hat ihren Bruder im Schulgebäude versteckt. Wovor?«
»Vor den Einberufungsbehörden der Vereinigten Staaten oder seinem Großvater, wahrscheinlich vor beiden. Ohne jede Frage ist er fest entschlossen, nicht zum Militär zu gehen. Eine Geschichte, die Ihnen nicht neu ist, meine Liebe. Ich weiß.«
»Und seine Schwester hat ihm geholfen.«
»Ja. Wir nehmen an, daß sie es war, die das dunkle und verlassene Theban für ein perfektes Versteck hielt. Alle erforderlichen sanitären Anlagen sind vorhanden, Heizung, ein Dach über dem Kopf, und das Essen konnten ihm die Mädchen in den umliegenden Feinkostgeschäften besorgen – sie haben wohl kaum erwartet, daß er sich etwas kochen würde.«
»Sie wissen über Mr. O’Hara Bescheid, oder?«
»O ja, aber da er über sechzig ist und ein Mann, waren sie ganz sicher, ihm ausweichen zu können. Was ja auch möglich gewesen wäre, hätte es da nicht den unbekannten Faktor ›Hund‹ gegeben.«
»Suchen diese phantastischen Hunde tatsächlich jeden Raum im Haus ab, einschließlich aller Toiletten?«
»Ja. Das war eine der Neuerungen, die wir mit dem Einsatz der Hunde einführen mußten. Die Putzkolonne läßt sämtliche Türen weit offen – obwohl sie nichts von den Hunden weiß. Die Putzfrauen bekämen möglicherweise Angst, und das ist ja nicht nötig.«
»Dann soll ich jetzt also mit Angelica sprechen, damit sie hoffentlich etwas ruhiger wird?«
»Diese Hoffnung wird sicher nicht enttäuscht werden. Da ist dann noch das Problem der Öffentlichkeit, auf die das Theban immer sehr empfindlich reagiert hat – aber sicherlich ist jetzt erst einmal wichtiger herauszufinden, wie man mit dieser schrecklichen Geschichte am klügsten umgeht. Ihr großer Vorteil liegt, abgesehen von der ›Antigone‹, in Verbindung mit der Tatsache, daß Sie von draußen kommen und wohl nicht so voreingenommen gegen die Jungen und Radikalen sind und wohl kaum diese ›Das-Theban-steht-stets-über-den-Dingen‹-Haltung einnehmen. Und außerdem wissen wohl die wenigsten Menschen, wie schwierig es für Heranwachsende ist, ihre eigenen Gedanken und Gefühle und Meinungen zu entdecken, wenn sie, wie es leider wohl bei Angelica der Fall ist, in einer Umgebung leben, in der man entweder generell allem zustimmt, was sie sagen, oder grundsätzlich mit Entsetzen reagiert. Jeder braucht ein bißchen Hin und Her, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Und der Bruder steht vor dem gleichen Problem mit der Einberufung wie mein Neffe, von dem ich Ihnen bei unserem allerersten Gespräch erzählt habe.«
»Richtig, meine Liebe, das ist mir wieder eingefallen. Sie können Angelica ehrlich sagen, daß Sie das Problem kennen und Verständnis für die Jungen haben. Falls Sie so gut sein wollen, heißt das.«
»Wie ist der
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