Schule für höhere Töchter
ganzen Einfluß genutzt.«
»Und das finden Sie nicht genauso falsch, wie Sie Patricks Verweigerung falsch finden?«
»Keineswegs. Alle Kontakte und allen Einfluß, den ich besitze, habe ich mir verdient. Und wenn sie nicht ausgereicht hätten, hätte Patrick gehen müssen. Ich hätte mich nie gegen die Entscheidung seines Landes über ihn erhoben.« Kate schüttelte den Kopf. »Miss Fansler, die Polizei hat den Mann befragt, der seit vierzig Jahren meine Hemden angefertigt und mir die Krawatten verkauft hat. Gleich nachdem der Beamte fort war, hat er mich angerufen, um es mir zu sagen. Sein Wunsch, mich zu warnen, beruhte auf langer Kenntnis meiner Person und meines Rufs.«
»Ich finde, das ist etwas ganz anderes. Das eine ist ein aus persönlicher Treue und Freundschaft geknüpftes Netz, das ich durchaus gutheiße. Das andere steht für Einflußnahme und Beziehungen, und das ist mir zuwider. Oh, ich weiß, wir alle nutzen unsere Beziehungen. Aber Ihr Hemdenschneider hat die Polizei nicht angelogen.«
»Natürlich nicht.«
»Aber wenn nun Ihr Enkel nicht nach Vietnam geschickt worden wäre, hätte ein anderer mit schlechteren Beziehungen an seiner Stelle gehen müssen.«
»Das ist mir klar. So ist der Lauf der Welt, und es hat keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen, daß die Welt ein Dschungel ist.«
»Nun«, sagte Kate und stand auf, »die Zeit reicht nicht aus, um das jetzt zu diskutieren. Ich glaube nicht, daß Sie selbst alles glauben, was Sie sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie Napalm produzieren würden. Oder irre ich mich? Würden Sie es herstellen, aber nicht eigenhändig auf Kinder werfen?«
»Man muß sich den Konsequenzen seiner Überzeugungen stellen. Ihr Liberalen wollt alle Vorteile Amerikas gratis.«
»Mit dem Schubladendenken haben Sie jetzt angefangen«, sagte Kate.
»Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen.« Er brachte Kate mit einer Verbeugung zur Tür und betonte, sie könne jederzeit zu seiner Wohnung gehen, es sei immer jemand da, um sie hereinzulassen.
»Ich mache zuerst noch einen Spaziergang«, sagte Kate, »oder fahre ein wenig mit dem Bus herum. Wenn es Ihnen recht ist, gehe ich heute am späteren Nachmittag hin. Vielleicht treffen wir uns ja dort.«
»Es wird mir eine Ehre sein«, sagte Mr. Jablon in seiner höflichen Art. Mit Bedauern hatte Kate festgestellt, daß ihm weder Tränen noch Ärger anzumerken waren. Er hatte seinen Verteidigungswall aufgebaut und dahinter Stellung bezogen.
Sie beschloß, ein wenig herumzuspazieren und sich die Häuser anzusehen, in denen die Teilnehmerinnen ihres Seminars lebten. Das war nur ein Vorwand, denn Kate liebte es, durch die Straßen zu wandern und mit Bussen und U-Bahnen unterwegs zu sein. Straßenleben nannte sie das in Anlehnung an Virginia Woolf, und es war eine Leidenschaft, die sie ihr Leben lang begleitet hatte.
Die Wohnungen der Starks, Kirklands und McCarthys lagen alle nahe beieinander (nach Kates Vorstellungen von Nähe; Reed fand, für alle anderen Sterblichen war das weniger die Dimension eines Spaziergangs als vielmehr einer Pilgerfahrt), aber um zu den Morningside Heights zu kommen, mußte sie den Bus nehmen und einmal umsteigen. Kate hatte gehört, dies sei eine gefährliche Gegend, daher näherte sie sich ihr mit gewisser Besorgnis. Ein paar uniformierte Wachen patrouillierten jedoch auf den Straßen. Kate, die gern mit Leuten über ihre Jobs sprach, hielt einen Wachmann an und fragte ihn, was er bewache.
»Das Haus des Präsidenten«, sagte er und zeigte auf ein großes, rotes Backsteingebäude.
»Des Präsidenten der Columbia University?« Der Mann nickte.
»Man kann nie wissen, wann jemandem in den Sinn kommt, einen Aufruhr anzuzetteln«, sagte er. »Vielleicht jemand, dem man das Haus, in dem er wohnte, abgerissen hat oder so. Und dann ist da noch die Sache mit dem Park.«
Kate folgte seinem Blick zum Morningside Park, von dem ein Teil offenbar von einem riesigen Bulldozer plattgewalzt worden war. Kein Baum war übriggeblieben und kein Hügel.
»Was ist passiert?« fragte Kate.
»Die wollten dort eine Turnhalle bauen.« Der Mann zuckte mit den Schultern.
Kate stellte fest, daß Irene Rextons Haus nur etwa einen Block vom Haus des Präsidenten entfernt lag, und ging hinüber, von den hilfsbereiten Blicken des Wachmannes begleitet. Die erste Eingangstür war offen, die zweite verschlossen. Das Schloß öffnete sich nur, wenn ein Mieter auf einen Knopf drückte. Dahinter vermutete
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