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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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hielt. Wie so viele seiner Generation und seines Erfahrungshorizontes hatte er seine persönliche Moral und die nationale Moral seines geliebten Landes voneinander getrennt. Er war bereit, ein offensives Vorgehen als nationale Aufgabe zu rechtfertigen. Aber niemals hätte er dies auch nur einen Augenblick lang auf seine persönliche Handlungsweise übertragen. Wie Matthew Arnold schon ein Jahrhundert zuvor festgestellt hatte, hat diese doppelte Moral den Nationen ungeheuer geschadet und ihnen Ehrlichkeit und Glanz genommen.
    »Was ist Ihrer Meinung nach Ihrer Schwiegertochter passiert, Mr. Jablon?«
    »Ich weiß es nicht. Ich akzeptiere die Erklärung der Gerichtsmediziner und ihres Arztes, daß sie ums Leben gekommen ist durch einen Schock, der einen Herzinfarkt ausgelöst hat. Sie hatte Herzbeschwerden; ich fürchte allerdings, daß keiner von uns sie wirklich ernstgenommen hat. Andererseits las ich kürzlich von einem vierjährigen Kind, das auf einem Zahnarztstuhl vor Angst gestorben ist – zu viel Adrenalin wurde in ihr Herz gepumpt. Ich weiß nicht, was meine Schwiegertochter erschreckt hat.«
    »Hat die Polizei gesagt, daß sie in jedem Fall erschreckt worden ist, oder vermutet sie das nur wegen der Hunde?«
    »Ich glaube nicht, daß das Wort ›erschrocken‹ fiel, nein. Ihr Arzt meinte, es könnte auch ein Zornausbruch gewesen sein. Sie neigte in der Tat zu Zornausbrüchen.«
    Vermutlich die Untertreibung des Monats, dachte Kate. Voll Bewunderung für seine Zurückhaltung ließ sie das Thema fallen.
    »Mir liegt daran, herauszubekommen, was an jenem Abend wirklich passiert ist und wer für den Tod Ihrer Schwiegertochter verantwortlich ist. Auf meiner Suche nach der Wahrheit würde ich gern in Ihrem Haus mit Ihrem Enkel und Ihrer Enkelin sprechen, falls sie dazu bereit sind. Haben Sie etwas dagegen?«
    »Dagegen, daß Sie in meine Wohnung gehen? Nein. Und auch nicht, daß Sie mein Personal befragen, wenn Sie es für nötig halten. Ich verlasse mich darauf, daß Sie sich auf das wirklich Notwendige beschränken. Aber ich mache mir keine großen Hoffnungen, daß Sie herausfinden, was passiert ist, und ich glaube, Sie machen sich Illusionen, wenn Sie darauf hoffen. Was meine Enkelkinder angeht, so sind sie durchaus in der Lage, Sie zum Teufel zu jagen.«
    »Haben Sie vor, etwas gegen die Schule zu unternehmen?«
    »Wegen meiner Schwiegertochter? Ganz gewiß nicht. Was sollte das für einen Sinn haben?«
    »Man könnte ihr Fahrlässigkeit vorwerfen.«
    »Das bezweifle ich. Sie haben doch eine Menge Zeugen dafür, daß die Hunde sie nicht zuerst geängstigt und dann liegengelassen haben können.«
    »Man kann jeden Menschen zu allen möglichen Zeugenaussagen anstiften, und zwar zu ganz aufrichtig gemeinten. Nichts ist sicher. Und man könnte unterstellen, daß allein die Tatsache, daß ihre Leiche dort gefunden wurde, ein deutlicher Beweis der Fahrlässigkeit ist.«
    »Wollen Sie mich zu einer Anzeige überreden?«
    »Keinesfalls. Aber ich weiß nicht, was ich möglicherweise herausfinde. Miss Tyringham hat sich – mit ungewöhnlichem Ehrgefühl und Mut, wie mir scheint – auf die Seite der Wahrheit gestellt, soweit sie aufzudecken ist. Ich halte die Suche nach der Wahrheit für den vernünftigsten Weg, aber bei mir ist das normal. Wir können nicht wissen, was wir herausfinden, und ich möchte sicher sein, daß Sie mir keine Verschwörungsabsichten unterstellen.«
    »Ich verstehe. Nun, ich sehe nicht, wozu es gut sein soll, Anzeige gegen die Schule zu erstatten. Auch eine Anzeige wegen der radikalen Ideen, die sie meiner Enkelin in den Kopf gesetzt hat, würde nichts nützen. Schließlich hätte ich sie jederzeit von der Schule nehmen können. Sie haben angedeutet, daß Sie, wenn Sie einmal einen Weg eingeschlagen haben, den bis zum Ende gehen müssen, ohne vorher wissen zu können, wie dieses Ende aussieht. Das verstehe ich. Um ehrlich zu sein, ich wäre froh gewesen, wenn es mir gelungen wäre, alle zu überzeugen und die Angelegenheit mit der Geschichte zu beenden, daß ich für die Anwesenheit meiner Schwiegertochter in der Schule verantwortlich war. Aber wenn das nicht geht, müssen wir die erforderlichen Enthüllungen in Kauf nehmen.«
    »Diese Frage geht mich zwar nichts an«, sagte Kate, »aber wenn Patrick eingezogen worden wäre, hätten Sie etwas unternommen, um zu verhindern, daß er nach Vietnam geschickt wird?«
    »Selbstverständlich hätte ich das, und ich hätte alle Beziehungen und meinen

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