Schule für höhere Töchter
ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Warum nicht Betsy?«
»Nun, zum einen, weil ihr Vater Tobsuchtsanfälle bekommt, wenn sie abends ausgeht, also…«
Kate nickte. Sie bezweifelte, daß dies der einzige Grund war. Betsy hatte eine spitze Zunge, und sie sprach oft mit so herablassendem Taktgefühl, daß es, nach Kates Erfahrung, verletzender war als eine direkte Beleidigung. Wie so viele sensible Menschen hatte sie kein Gefühl dafür, wie grausam ihre eigenen Worte sein konnten, eine Ironie des Schicksals, die Kate schon oft aufgefallen war. Dennoch waren bei den meisten Sitzungen alle Mädchen anwesend, das war durch die unvorsichtigen Bemerkungen im Seminar deutlich geworden. Natürlich war Alice diejenige gewesen, die das Geheimnis ausgeplaudert hatte.
»Hattet ihr vor, an jenem Abend an einem bestimmten Thema zu arbeiten?« fragte Kate.
»Eigentlich ja«, sagte Angelica. »Ich habe versucht, meine Gefühle für meine Mutter auszudrücken…« Ihre Stimme flatterte unglücklich.
»War Mrs. Banister nicht dabei?«
»Nein«, antwortete Angelica mit einer Aufrichtigkeit, die stets denjenigen verrät, der bisher gelogen hatte und nun froh ist, einfach die Wahrheit sagen zu können. »Wir haben ihr nichts davon erzählt. Erstens weil wir schon schrecklich viel von ihrer Zeit in Anspruch genommen hatten, und zweitens weil es ja keine richtige Sitzung war, verstehen Sie, nur wir vier.« Sie verstummte, und ihre Stimme verklang im Raum.
Kate lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schloß die Augen. Sie war nicht sehr gut in solchen Dingen, und sie hatte sich infolgedessen genau in die Ecke manövriert, die sie gern gemieden hätte. Sie war nun sicher, die Wahrheit zu kennen über die Sitzung bis zur Ankunft von Patrick und seiner Mutter. Die vier Mädchen waren allein in der Wohnung der Rextons und hielten eine Encountersitzung ab. Aber Patrick war nicht mit seiner Mutter zur Schule gefahren, dessen war sie sich sicher, nicht nur weil es absolut unwahrscheinlich war, daß sie zu einem derartigen Unternehmen bereit gewesen wäre oder es gar selbst vorgeschlagen hätte; sondern auch, weil Kate im Gegensatz zu Patrick wußte, daß seine Mutter nicht von den Hunden getötet worden sein konnte.
Sie waren noch immer überzeugt, daß Kate mehr wußte, als sie offenbarte, dennoch gaben die Geschwister nichts preis. Warum auch? Und was konnte Kate schon wissen? Nur ein Punkt war übriggeblieben.
Mrs. Jablon war gestorben – aber wo? – und man hatte ihren Körper zur Schule gebracht und dort deponiert. Das war die einzige Erklärung. Hunde reagierten nicht auf Leichen. Das hatte Reed von Mr. O’Hara erfahren.
Wie war Mrs. Jablon in die Schule gekommen?
Angenommen, sie wäre, wie Patrick behauptete, zur Schule gefahren, egal ob aus dem von ihm genannten Grund oder einem anderen, wäre nach oben gegangen und im Zeichensaal an einem Herzinfarkt gestorben. Würde eine so ängstliche Frau in ein leeres Stockwerk hinaufgehen, um in einem einsamen Studio zu sterben? Sie hätte niemals allein den Aufzug benutzt, da das zu den Dingen gehörte, vor denen sie Angst hatte, außerdem wäre sie nach allem, was Kate wußte, nicht in der Lage gewesen, ein noch so einfaches technisches Gerät zu bedienen. Angenommen, Mr. O’Hara hätte sie hinaufgebracht, weil er sie für eine Mutter auf dem Weg zum Elternabend hielt, und sie wäre dann in den Kunstraum hinuntergegangen? Irgend jemand, Lehrer oder Eltern, hätte sie dann sicher gesehen. Alle Nachfragen der Polizei hatten ergeben, daß niemand sie gesehen hatte, und Mr. O’Hara, der ihre Leiche entdeckt hatte, schwor, sie sei ihm nie zuvor unter die Augen gekommen, und er hätte sie ganz bestimmt nicht im Fahrstuhl nach oben gebracht.
Keine Frage, die verdammte Frau war schon tot, als man sie zum Theban brachte.
Warum zum Theban?
Genau das war die Frage. Gut, was fängt man mit einer Leiche an? Das ist der schwierigste Teil eines Mordes, wie man in Kriminalromanen immer wieder nachlesen kann. Der Fall von Patrick und den Hunden lag erst so kurze Zeit zurück, daß er als Anregung dienen konnte. Doch wer wußte von Patrick und den Hunden? Anders als im Fall von Mrs. Jablons Leiche, war über dieses Ereignis nichts veröffentlicht worden. Konnte es jemand aus dem Theban gewesen sein? Es war undenkbar, daß Julia oder Miss Tyringham das Theban hineingezogen hätten. Wären sie dort gewesen, hätten sie zweifellos genau das Gegenteil versucht, nämlich die Leiche
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