Schule versagt
entschieden.« Sie war es offenbar nicht. Im schlechtesten Fall strahlten Kollegen die Botschaft »Ich hab ja selbst keine Lust!« so offensichtlich aus, dass mich die Schilderungen der Schüler erschreckten. Das missmutige Gesicht, das einige Kollegen in den Unterricht mitnahmen, ihre Übellaunigkeit und Unfreundlichkeit waren neben Ungeduld und Unwissen (»Das weiß ich selbst nicht.«) häufig genannte Gründe.
Kompetenz war offenbar auch nicht durchgängig verbreitet. Ich hörte in diesen EV A-Gesprächen viel über mangelhafte Kompetenz. Zu viel. Ich war manchmal regelrecht deprimiert über die Qualität des Unterrichts, die für meine Schüler so offensichtlich war. Vermutlich wussten die betroffenen Kollegen das nicht einmal. Manchmal brach der ganze Frust, der sich in den Schülern im Laufe der Zeit angesammelt hatte, aus ihnen heraus. Sie erzählten freimütig und ich hörte zu. Ich habe nie mit irgendjemandem über die Befragungsergebnisse bezüglich der persönlichen Nennung vieler Kollegen gesprochen. Meine Schüler vertrauten mir und ich enttäuschte ihr Vertrauen nicht. Der Preis dafür war, dass sich nichts änderte, weil die betroffenen Kollegen nichts merkten. Es war in der Tat ein Glücksspiel, ob man von einem kompetenten oder einem inkompetenten Kollegen unterrichtet wurde, von einem motivierten oder einem unmotivierten bzw. teilweise motivierten.
Und die Persönlichkeit? Was verstehen Schüler darunter? »Die Art, wie wir behandelt werden«, hörte ich oft oder »Wie ein Lehrer mit uns umgeht.« Gemeint war damit die offensichtliche Diskrepanz, die einige Lehrer in der Zusammenarbeit mit ihren Schülern und anderen Menschen an den Tag legten. Die Schüler fühlten sich manchmal wie Menschen zweiter Klasse und merkten sehr deutlich, wer sie wie behandelte. Und in der Regel kamen Respekt und Freundlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Achtung voreinander zurück. Manchmal zeitversetzt. Und bei einigen Schülern auch gar nicht. Meistens waren es die, die wegen schlechter Leistung oder Fehlzeiten gehen mussten. Tragische Fälle, die sich selbst in jede Wiederholung einer Klasse mitnahmen und nicht bereit waren, sich zu ändern. Bei der übergroßen Mehrheit jedoch wirkten positive Charaktereigenschaften ihrer Lehrer auf sie selbst zurückund spiegelten sich in ihrem Verhalten und manchmal sogar in ihrer Motivation, die dem Verhalten zugrunde lag.
Als ich die Statements der Schüler beiseite legte, als mir all das, was ich darüber geschrieben habe, durch den Kopf ging, war klar: EVA scheiterte nicht an den Schülern. Die Fehler des Konzepts waren offenbar auch nicht so gravierend, dass sie ein Scheitern verursacht hatten. Sonst wäre die Beurteilung in den Klassen anders ausgefallen. EVA starb, weil die Kollegen unfähig oder unwillig gewesen waren, das Projekt zu tragen und weiterzuentwickeln. Kein Schüler erkannte zweifelsfrei die Kollegen, die EVA trugen oder besser: hätten tragen sollen. Das war alarmierend, vor allem nach so langer Zeit, in der EVA hatte erprobt werden sollen. Irgendwie musste sich doch die EV A-Motivation der Lehrer, die sie umsetzen wollten, auch einmal zeigen … Oder doch nicht? Und wenn ja: Warum zeigte sie sich nicht? War die Motivation nie da gewesen? Schließlich hatten wir Konferenzen gehabt, uns in vielen zusätzlichen und unbezahlten Stunden getroffen, um EVA zu verwirklichen. Sven hatte ausgerechnet und dokumentiert, wie viele Zusatzstunden es allein für die Planung und Umsetzung der Learning-by-Doing-Woche gewesen waren. Zwar war das zeitliche Engagement im Laufe der Zeit zurückgegangen, aber es war da gewesen, ohne Zweifel. Sogar die Unterstützung der Schulleitung hatten wir gehabt, zumindest zu Beginn. Später wurden wir geduldet. Die Antwort konnte nur sein: Motivation ja – aber aus welchen inneren Beweggründen heraus? Motivation – Kompetenz – Persönlichkeit – das Urteil der Schüler hatte diese Dreierkombination vorgesehen. Es war nicht alternativ oder ergänzend gemeint, sondern als Gesamtheit zu verstehen, als unabdingbare Voraussetzung, diesen Beruf erfolgreich auszuüben. EVA zum Erfolg zu bringen hieß, bei unseren Schülern Prozesse in Gang zu setzen, die sie zu den Schlüsselqualifikationen auf fachlicher, methodischer und persönlicher Ebene befähigten. Wir hatten uns ausgiebig mit den Inhalten dieser Prozesse beschäftigt. Kein Kollege konnte sich auf den Standpunkt zurückziehen, er habe nicht gewusst, wie man das macht.
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