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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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positiven Beispiele aus meiner Referendarzeit, Frau A., Frau P., Frau K., und einige Kollegen, die ich danach in unterschiedlichen Schulen kennen und schätzen gelernt hatte. Ich hatte erlebt, wie Carlo sich einzelner Schüler annahm, bei denen das Verlassen der Schule anstand, weil sie zweimal hintereinander die Versetzung zu verfehlen drohten. Er traf sich mit ihnen, stellte Zusatzaufgaben, ging sie mit den betreffenden Schülern durch und ermunterte sie zu Mehrarbeit und eigener Anstrengung. Dabei ließ er keinen Zweifel an den Konsequenzen,die eine Beibehaltung des bisherigen Verhaltens nach sich ziehen würde. Er nahm die gefährdeten Schüler nicht aus der Verantwortung. Carlo war freundlich und hatte selten schlechte Laune. Wenn ich etwas von ihm wollte, sei es administrativer oder inhaltlicher Art, hatte er immer Zeit, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Die anderen Fachbereichsleiter waren nicht so zugänglich.
    Als EVA in die Jahre kam, merkte ich, worin Carlos Schwäche bestand. Er hatte kein Standing. Ich meine das nicht im Sinn von Durchhaltevermögen, eine Sache durchzuziehen. Daran mangelte es ihm nicht. Aber er hatte kein Standing der Schulleitung gegenüber. Carlo stand auf gutem Fuße mit dem Direktor. Die beiden duzten sich, ich hatte gesehen, wie er ihm den Arm um die Schulter legte, während sie durch den Schulflur gingen. Wenn die Leitung etwas anordnete oder inoffiziell insistierte, fiel Carlo um. Er hatte mir gegenüber einmal seine Schwäche, dass er nicht Nein sagen könne, erwähnt. Das kam mir auch nicht abwegig vor. Wenn ein Fachbereichsleiter immer Zeit hat, sogar seine Arbeit unterbricht, um ein vergleichsweise unwichtiges administratives Problem auf der Stelle zu lösen, dann kann es gut sein, dass er eigene Interessen zurückstellt, um den Ansprüchen anderer zu genügen. Und wenn diese anderen untergeordnete Kollegen waren, wie unmöglich musste es für ihn sein, sich Anweisungen von oben zu widersetzen. Er leistete noch die Auswertung des Fixed Day für die verordnete zweite schulinterne Evaluation, die schon keine echte Analyse mehr war. Das war’s. Die Learning-by-Doing-Woche wurde mit seiner Zustimmung gestrichen. Es war typisch für ihn, dass er mit einem verlegenen Lächeln in meine Richtung »verlegt« daraus machte. Er wollte keinem wehtun.
    Raphael, der mit Ilse auf gutem Fuße stand, mit ihr gemeinsam eine Klasse leitete   – ging es ihm die ganze Zeit um sich selbst? Ich erinnere mich an seinen Gesichtsausdruck, als eine Kollegin einmal zu ihm sagte: »Du bist ein ausgezeichneter Pädagoge, Raphael!« Er streckte sein Antlitz dem Himmel entgegen, verdrehte verzückt die Augen und sein mächtiger Körper schien von Wohlgefühl durchdrungen zu sein. Das ging ihm runter wie Öl. Er merkte nicht, dass die Kollegin es nicht so ehrlich mit ihm meinte. Mir war Raphaels Bereitschaft aufgefallen, immer wieder neue Klassen leiten zu wollen, wenn seine bisherige die Schuleverlassen hatte. Geduldig und geradezu mit Feuereifer nahm er so langweilige Aufgaben wie das Führen der Fehlzeitenliste auf sich und machte in Konferenzen langatmige und alles problematisierende Ausführungen über einen oder mehrere Schüler und die Klassensituation. Sein Engagement für die Probleme seiner Schüler ging weit über das hinaus, was von ihm verlangt wurde. Er lebte auf, wenn er vor und mit den Schülern agieren konnte. Sein Beruf war ihm keine Last, sondern die Möglichkeit, sein Ego voll auszuleben. Aus meiner Sicht machte er sich oft zu viele Gedanken und problematisierte alles. Und dann begann es von vorn und Raphael merkte nichts und war in seinem Beruf ganz zu Hause.
    Die Kollegen nahmen sich in das Projekt so mit hinein, wie sie waren, aber sie veränderten sich nicht, auch nicht im Prozess der Umsetzung. Das war die Krux. Das war der Teufelskreis, aus dem sie nicht ausbrechen konnten. Es gab keine wirkliche Motivations- und Verhaltensänderung. Es ging nicht oder zumindest nicht nur und vorrangig um EVA im intendierten Sinn des Projekts. Es ging um Raphaels Selbstbild. Es ging um Ilses Weg aus der Verzweiflung. Es ging um Hans’ Versuch, der deprimierenden Aussicht auf weitere zehn Jahre Schule doch noch etwas abzugewinnen. Es ging um Svens Anspruch an sich selbst. Es ging um Carlos ernsthafte Absicht, den Schülern wirkliche Förderung angedeihen zu lassen und um die von Beginn an drohende Tragik, die darin lag, dass er nicht die nötige Stärke besaß, um zu EVA zu stehen. Es ging um Herbs

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