Schule versagt
aufgehängt worden. Die großen Fenster ließen viel Licht herein, die hellen Gardinen, die sie zu beiden Seiten einrahmten, konnten bei Bedarf zugezogen werden und machten den Raum insgesamt wärmer. Es war an alles gedacht worden. Für einen Unterrichtsraum wirkte das Zimmer außerordentlich heimelig und gemütlich. Wir wollten damals alle Schüler des Fachbereichs in die Renovierung des Raumes einbeziehen, aber niemand hatte ein rechtes Interesse daran, sich seine Umgebung, in der er an fünf Tagen in der Woche in der einen oder anderen Doppelstunde zwischen acht Uhr morgens und drei Uhr nachmittags arbeitete, so zu gestalten, dass alle sich wohlfühlen konnten. Meine Schüler verstanden das sofort. Wir waren gern in dem Raum, und ich bemühte mich, so viele meiner Unterrichtsstunden dort zu verbringen wie möglich. Das war nicht so schwierig, denn vielen Kollegen war es absolut egal, wo sie unterrichteten. Atmosphäre als Bestandteil von Unterricht war nicht in ihrem Bewusstsein. Das war eines der vielen Phänomene in der Schule, über die ich mich wunderte. Dass Menschen die Umgebung, in der sie arbeiteten, egal war – ich verstand es nicht.
Ich sah meine Schüler an den Tischen sitzen, die in einem großen U gruppiert waren. Ich saß nur in der Weise exponiert, als ich den Tisch vor der Tafel besetzte, der immer leer blieb. Kein Schüler setzte sich jemals dorthin. Also nahm ich notgedrungen diesen Platz ein. Wann immer es ging, tauschte ich ihn mit einem mitten unter ihnen, denn in der Regel waren sie es, die vorn agierten, vortrugen, Diskussionen leiteten, präsentierten. Ich sah uns dort sitzen und miteinander arbeiten. Alles wurde wieder lebendig vor meinem geistigen Auge. Die konzentrierte Arbeit, die heitere Grundstimmung, die vertrauten Gesichter, das Lachen, die Gespräche im Fixed Day, in denen ich mehr zugehört als geredethatte. EVA erstand auf in der Atmosphäre dieses außergewöhnlichen Raumes und in der Erinnerung an meine Schüler, die jetzt längst keine mehr waren. Warum war ich hierher gekommen? Es tat auch weh, zu spüren, dass alles, was ich sah, Vergangenheit war. Ich suchte eine Antwort und hoffte sie hier zu finden. Als ich mir jedes einzelne Gesicht vorstellte, wurde mir klar, dass wir viel mehr getan hatten als EVA umzusetzen. Hier hatte EVA, zumindest zeitweise, gelebt. Die Antworten auf die übrigen Fragen, die ich mitgenommen hatte, würde ich hier nicht finden. Ich würde wiederkommen, wenn es um den Teil des Buches ging, in dem ich über unsere gelungene Zusammenarbeit in der Schule und ihre Gründe erzählen wollte. Ich ging hinaus, schloss die Tür sorgfältig ab, so als müsse ich in diesem Raum etwas zurücklassen, das erhalten bleiben sollte, und bewegte mich langsam auf den Ausgang der Schule zu.
Unterwegs nach Hause fielen mir die anonymen Befragungen wieder ein, die ich regelmäßig zu EVA in allen Klassen des Fachbereichs, auch nachdem meine Klasse die Schule verlassen hatte, durchgeführt hatte. Würde ich dort Antworten finden? Ich schaute in dem dicken Ordner nach, auf dem »EVA« stand und fand handgeschriebene Statements der Schüler, den offenen Fragebogen und die Ergebnisse der Diskussionen über EVA als Halbzeitbilanz. Ich hatte jeweils nach dem dritten Semester mit meinen Schülern EVA zum Thema gemacht und sie nach ihren Erfahrungen mit dem Konzept und seiner Umsetzung gefragt. Im Mittelpunkt hatte die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen gestanden. Hatten sich die Schüler »EVA-gemäß« entwickelt, empfanden sie EVA als einen wichtigen Katalysator ihres Wachstumsprozesses? Was hatten sie am Konzept als positiv empfunden, was als negativ und vor allem, wie schätzten sie die Entwicklung ihrer Fähigkeiten in Bezug auf die drei Kompetenzbereiche (Kommunikation, Methoden, Team) ein? Zuletzt fragte ich sie nach ihrer Einschätzung zum Stand ihres aktiven Wissens, ihrer sozialen Kompetenz und ihrer Persönlichkeitsentwicklung in Bezug auf die Schlüsselqualifikationen, die sie seit der Learning-by-Doing-Woche kannten. Als ich die blauen, gelben, weißen und grünen DIN-A 4-Blätter zur Hand nahm und alles, was die Schüler geschrieben hatten, las, empfand ich wieder die Wärme und Zuneigung, die auchTeil meiner Beziehung zu meiner Klasse gewesen war. Mit den Schülern, die mir hier ihre Antworten gegeben hatten, kam ich allerdings, im Gegensatz zu meiner eigenen Klasse, nur einmal pro Woche für eineinhalb Stunden zusammen. Ich traf mich mit ihnen auch
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