Schule versagt
anderer Menschen hat, die von ihm abhängig sind.
Am Anfang stehen also nicht nur elementare Fragen, sondern auch Antworten. Und eine Wahl, die Wahl des eigenen Weges. Die richtige Wahl, für welchen Beruf auch immer, beinhaltet die Akzeptanz eines Inside-Out-Prozesses. Das ist ein ganzheitlichesParadigma. Es umfasst Körper, Geist, Psyche und die ethische Grundeinstellung. Das, was ich vor Beginn des Referendariats erlebte, heftige Zweifel, mich auf Schule einlassen zu können, war getragen von dieser unbewussten Erkenntnis. Weder fühlte ich mich zum Lehrer berufen noch hielt ich mich für die geborene Pädagogin und schon gar nicht hatte ich das Gefühl, in der Schule zu Hause sein zu können. Aus dieser Ausgangslage heraus ließ ich mich letztlich vollkommen auf meine Schüler ein, behielt aber die Distanz zum System und beobachtete. Das war, meiner Zielvorstellung gemäß, meine Lösung des Problems. Im Nachhinein muss ich sagen, dass meine Schüler mir den Spagat erleichterten und ihn möglich machten. In kaum einem meiner bisherigen Berufe habe ich so viel Resonanz und damit auch Befriedigung erfahren. Und ich habe viel gelernt von meinen Schülern. Im Laufe der Lehr(er)jahre habe ich mich verändert und entwickelt, weil ich mich in ihrem Spiegel sah.
2. Die eigene Persönlichkeit entwickeln!
Wenn die grundlegende Entscheidung getroffen ist, muss man an sich selbst arbeiten. Man hat als Antwort auf die elementaren Fragen die eigene innere Stimme gehört, die bereits eine ethische Grundeinstellung impliziert. Bezogen auf den Lehrerberuf bedeutet das, authentisch zu sein, glaubwürdig in Motivation und Verhalten. Beides muss übereinstimmen. Es darf weder eine Diskrepanz zwischen Reden und Handeln geben noch eine zwischen Motivation und Verhalten. Wenn ich entschlossen bin, Wachstum zu fördern, dann darf ich das nicht nur sagen, sondern ich muss es täglich tun, und ich muss es wirklich wollen. Das nennt man wohl Integrität, die dem entspricht, was Erich Fromm das »wahre Gewissen« nennt. Es ist die Grundvoraussetzung für das ganzheitliche Paradigma, für den Inside-out-Prozess. Sicher ist es nicht so, dass solch ein Prozess immer bewusst abläuft. Man fragt sich nicht ständig Dinge wie: »Wenn ich dieses Paradigma habe, was muss ich dann in dieser konkreten Situation tun?« Das ist das Wunderbare an diesem Prozess, dass er einfach abläuft, wenn man ganz aus sich selbst heraus lebt. Intuition spielt dabei eine wichtige Rolle. Und vor allem Empathie. Die Kunst des Zuhörens ersetzt und übertrifft LIMO und andere Verhaltensregeln um einVielfaches. Die Welt durch die Brille des anderen Menschen zu sehen, ist unabdingbare Voraussetzung für den Lehrerberuf. Das Sich-hineinversetzen-Können in einen Schüler und zwar weit über das hinaus, was die Verhaltensebene uns zeigt, ist einer der Schlüssel für sein Wachstum. Interessanterweise korrelieren hier Erkenntnisse der Neurobiologie mit denen der humanistischen Psychologie und auch mit meinen persönlichen Erfahrungen. Der Neurobiologe Joachim Bauer schreibt: »Unser Gehirn besitzt ein über verschiedene Regionen ausgebreitetes Netzwerk von Nervenzellen, deren Job es ist, nur eines möglich zu machen: Einfühlung, Empathie. Dieses Netzwerk ist das System der Spiegelneurone (›mirror neuron system‹, MNS). Sie machen es möglich, dass ich mit meinem Gehirn fühle, was ein anderer Mensch fühlt, den ich in meiner unmittelbaren Umgebung erlebe.« 1 Der Philosoph Erich Fromm drückt es so aus: »Der Psychoanalytiker muss zur Empathie für andere Menschen fähig und stark genug sein, das Erleben des anderen so zu spüren, als ob es sein eigenes wäre. Eine solche Empathie setzt die Fähigkeit zu lieben voraus … Verstehen und Lieben lassen sich nicht voneinander trennen. Werden sie dennoch voneinander getrennt, kommt es nur zu einem verstandesmäßigen Prozess, und die Türe zum wirklichen Verstehen bleibt verschlossen.« 2
Schüler sind keine Patienten, die bei ihrem Lehrer eine Psychoanalyse benötigen. Aber für jeden Menschen gilt, dass Empathie möglich ist und dass sie mit der Fähigkeit zu lieben einhergeht. Ich bin überzeugt, dass die Fähigkeit zu lieben, und vor allem das Leben zu lieben, die ethische Prämisse ist, aus der Integrität erwächst. Die Entwicklung dieser Fähigkeit ist die Basis für jede Motivation und jedes Verhalten. Bleibt es bei bloß verstandesmäßigem »Einfühlen«, kommt wenig mehr als LIMO dabei heraus und ein
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