Schumacher, Jens - Deep
»Findest du das nicht auch verflixt eigenartig?«
»Verstört? Was soll das heißen?«
»Als hätten sie vor irgendetwas eine Heidenangst gehabt. Wörtlich hat er gesagt, sie seien blass gewesen, ›als hätten sie einen Blick in den Schlund der Hölle geworfen* … oder so ähnlich. In den folgenden Tagen scheinen sie auffallend wortkarg gewesen zu sein, mittlerweile verlassen sie kaum noch das Haus. Am Hafen hat der Langhaarige sie laut eigener Aussage jedenfalls schon länger nicht mehr gesehen.«
Auch Henrys Interesse war nun geweckt. Ein Wrack zu entdecken, war eigentlich ein Erfolgserlebnis, gerade für zwei angebliche Schatzjäger. Was mochte die Männer an ihrem Fund so sehr beunruhigt haben?
»Was hast du vor?« Neugierig trottete Henry hinter Becca her, auf die beiden Indonesier zu.
»Ich dachte, ich frage den Langhaarigen mal, ob er sich zufällig an die Namen der beiden Schatzsucher erinnert. Dann könnten wir der Sache ein bisschen nachgehen.« Sie hob fragend die Brauen. »Oder hast du was Besseres vor?«
Henry checkte sein Handy. Nach wie vor kein Anruf von Josh.
Er grinste. »Nö. Hab ich nicht.«
6
BOROBUDUR, 24. SEPTEMBER 2013
»Wie läuft es bei Ihrem Doktoranden in Cilacap, Dr. Wilkins? Haben Sie etwas von ihm gehört?«
Unwillig sah Donald Wilkins von seinem Laptop auf. Dr. Weismans Tonfall verriet, dass der Finanzaufseher nicht bester Stimmung war, und er verspürte beim besten Willen keinen Bedarf nach einer neuerlichen Auseinandersetzung über den verschwenderischen Umgang seiner Kollegen mit den knappen Geldmitteln der Universität.
»Seit heute Morgen nicht mehr, nein«, gab er zurück und wandte seine Aufmerksamkeit demonstrativ wieder dem Display des Computers zu. Er vollendete einen Satz in seinem Expeditionstagebuch, bevor er hinzufügte: »Aber ich bin zuversichtlich, dass Taper das Georadar und die anderen Geräte mittlerweile vom Zoll losgeeist hat und sich gemeinsam mit Henry auf dem Rückweg befindet.«
Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich Weismans schmächtige Silhouette neben ihm aufbaute. Der Controller verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn herausfordernd an. »Sie hätten sich mit mir absprechen müssen, bevor Sie Taper die Erlaubnis gaben, in Cilacap zu übernachten. Zusätzliche Ausgaben müssen mit mir koordiniert werden.«
Donald Wilkins holte tief Luft. Diskussionen wie diese hatte er seit ihrer Ankunft am Borobudur schon mindestens fünfzigmal geführt – zuletzt, als er Anne Lusk, Wrens Assistentin, in die nächste Ortschaft geschickt hatte, um Flügelschrauben und Kabelbinder im Gegenwert von nicht einmal zehn Dollar zu besorgen. Weisman dagegen schien durchaus gewillt, das Thema auch noch ein einundfünfzigstes Mal zu erörtern.
»Hören Sie, Dr. Weisman …« Wilkins drehte sich auf seinem Stuhl um, wobei er sich innerlich ermahnte, ruhig zu bleiben.
Weisman hatte zwar keine Befugnis, die Expedition frühzeitig zu beenden, sollte er allerdings beschließen, dass man nicht gemäß der zuvor getroffenen Absprachen mit ihm und der Universität kooperierte, vermochte er die Arbeit vor Ort stark zu behindern. In diesem Fall würden sie mit den geplanten Untersuchungen niemals fertig werden, bevor das indonesische Team hier eintraf. »Als Josh gestern durchgab, dass das Zollamt geschlossen sei, waren Sie nirgendwo in der Nähe.«
Weisman verzog sein Nagetiergesicht in einer Mischung aus Ekel und Wut. »Ich musste mich um einen Zwischenfall auf dem Tempelparkplatz kümmern. John Waters hatte mit einem unserer Wagen einen Bus voller Urlauber gerammt. Zum Glück entstand keinerlei Personenschaden. Nicht auszudenken, was das an Kosten …«
»Nichts liegt mir ferner, als die Mittel der Universität unnütz zu vergeuden, Dr. Weisman. Und – korrigieren Sie mich bitte, sollte ich mich täuschen – bei keiner der Expeditionen, die ich in den vergangenen siebzehn Jahren im Auftrag der University of Toronto geleitet habe, ist je ein unvorhergesehenes Mehr an Kosten entstanden.«
Weisman öffnete den Mund, als wollte er dieser Behauptung widersprechen, doch Wilkins ließ ihn nicht zu Wort kommen. »In meiner Position als kommissarischer Leiter der Forschungsarbeiten muss ich flexibel reagieren und spontane Entscheidungen treffen. Wenn Sie mir diese Freiheit nicht zubilligen, ist es mir leider nicht möglich, meine Aufgabe weiterhin wahrzunehmen.« Wilkins hatte den Satz noch nicht recht beendet, als er merkte, dass er sich mit der Drohung,
Weitere Kostenlose Bücher