Schumacher, Jens - Deep
gern? Mit Flaschen, meine ich?«
»Mit Pressluft? Habe ich schon gemacht. Wieso?«
Sie hob den Arm und warf einen Blick auf eine schwarze Casio G-Shock an ihrem Handgelenk. »Zeit genug hätten wir. Ich kenne einen Laden hier in der Nähe, der Atemautomaten und Flossen verleiht. Hast du Lust?« Sie sah ihn hoffnungsvoll an.
»Prinzipiell schon.« Henry sah ebenfalls auf die Uhr. »Ich müsste vorher allerdings mal kurz telefonieren.«
Rebecca sprang auf und klatschte in die Hände. »Cool! Dann telefonier, während ich meine Sachen zusammenpacke.«
Henry wählte die Zentralnummer des Zollamts und ließ Josh Taper ausrufen. Wenig später schallte ihm ein vertrautes »Heyhey!« entgegen.
Henry erfuhr, dass Josh noch immer nicht im Besitz der Kisten war, wegen denen sie gekommen waren. Einer der Zollbeamten machte ihm Schwierigkeiten – angeblich, weil ihm Joshs Nase nicht passte. Henry vermutete eher, dass Josh wie üblich etwas zu vorlaut aufgetreten war. Wie auch immer, es sah jedenfalls so aus, als würde sich die Aktion noch einige Stunden hinziehen. Einem gemeinsamen Tauchgang mit Becca stand also nichts im Wege.
»Und wo willst du tauchen?«, erkundigte sich Henry, während er das Handy in seinen Klamotten verstaute. »Dieser Strandabschnitt hier ist ziemlich öde, wenn du mich fragst. Selbst fünfzig Meter weit draußen reicht einem das Wasser kaum bis zu den Schultern.«
»Wart’s ab!« Becca lächelte geheimnisvoll und schlüpfte in ein Wickelkleid aus buntem Batikstoff. »Fünf Fußminuten von dort, wo wir uns die Ausrüstung besorgen, gibt es eine Stelle, die tausendmal besser ist als die hier …«
5
CILACAP, 24. SEPTEMBER 201 3
Am Nachmittag wusste Henry, was Becca gemeint hatte.
Nachdem sie sich bei dem Verleihgeschäft Lungenautomaten sowie Tauchermaske und Flossen für Henry besorgt hatten, führte Becca ihn etwa einen halben Kilometer den Strand entlang zu einer Stelle, wo die Küste deutlich steiler war. Schon nach wenigen Metern kiesbedeckten Ufers fiel der Grund gut sechs Meter tief ab, allerdings ohne dass sich aufgrund des Höhenunterschieds gefährliche Strömungen gebildet hatten. Ein idealer Ort zum Tauchen.
Doch es wurde noch besser. Nicht einmal zwanzig Meter vom Ufer entfernt lag das Wrack einer Segeljacht auf Grund, die vor zehn Jahren hier gesunken war, wie Becca berichtete. Da sich eine Bergung nicht lohnte und das Wrack den Schiffsverkehr vor der Küste nicht beeinträchtigte, hatte man es gelassen, wo es war. In den folgenden Stunden erkundeten Becca und Henry das Wrack. Auch mit einem Mindestmaß an Taucherfahrung ließ es sich mühelos erreichen, und da es nicht besonders tief lag, gab es ausreichend Licht, um sich zurechtzufinden.
Während sie über das Deck hinwegglitten, die halb verrottete Brücke untersuchten und die Farbenpracht der Pflanzen und Korallen bewunderten, die sich über die Jahre auf dem Holz angesiedelt hatten, konnte Henry nicht anders, als seine Begleiterin immer wieder unauffällig zu mustern.
Becca bewegte sich extrem elegant und routiniert, sie schien schon viel Zeit unter Wasser verbracht zu haben. Die meiste Zeit schwamm sie, ganz ohne ihre Arme einzusetzen, nur durch kraftvolle Schwimmbewegungen des gesamten Körpers. Allein mit dem Vortrieb ihrer Schwimmflossen kam sie so rasant vorwärts, dass Henry sich anstrengen musste, nicht den Anschluss zu verlieren.
Nach einer Weile bekamen sie Hunger. Vor allem Henry, der seit dem Frühstück in der Pension nichts mehr gegessen hatte, knurrte der Magen. Also verließen sie das Wasser und kehrten zum Verleih zurück, um ihr Equipment wieder loszuwerden. Anschließend, hatte Becca versprochen, würde sie Henry zum besten Burgerladen von ganz Cilacap führen.
Der Tauchverleih war ein schäbiger Laden, zumindest nach westlichen Maßstäben. Über einen erbärmlich knarzenden Dielenboden aus verzogenen Brettern, die aussahen, als hätten sie ihr erstes Leben als Schiffsplanken auf hoher See verbracht, erreichte man einen behelfsmäßigen Tresen, an dem der Inhaber, ein schmerbäuchiger Indonesier, Tauchequipment ausgab und die Ausleihgebühren kassierte.
Als Becca und Henry eintraten, war die Theke verwaist, und das offenbar bereits seit geraumer Zeit. Zwei weitere Kunden, einheimische Männer Mitte dreißig, warteten dort, zwei Pressluftflaschen neben sich, die sie offenbar auffüllen lassen wollten. Sie unterhielten sich halblaut, wobei sie immer wieder Blicke in Richtung eines Durchgangs
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