Schumacher, Jens - Deep
schmutzige Jeans hatte einen weiten Schlag, unter dem nackte, nicht minder schmutzige Füße hervorlugten. Die gebräunte Haut seiner Arme ließ vermuten, dass er viel im Freien arbeitete.
Was nicht zu dieser Theorie passte, war sein Gesicht. Als der Mann sich wieder umdrehte, erkannte Henry, dass er unnatürlich blass wirkte. Seine blauen Augen huschten nervös zwischen Henry und Becca hin und her. Er wirkte nicht betrunken, dennoch schien er sich aus irgendeinem Grund nicht wohlzufühlen. Ob er krank war?
»Mr Irving?«, erkundigte sich Becca höflich.
Der Blonde schüttelte den Kopf. »Knapp daneben, Kleine. Ich bin Jeff Rudd.« Er nahm einen Schluck Bier und musterte sie misstrauisch. »Was wollt ihr hier? So wie ihr ausseht, kommt ihr nicht mit einem Bergungsauftrag.«
»Wir haben von Ihrer großen Entdeckung gehört, Mr Rudd«, erklärte Becca in euphorischem Ton. »Ein gesunkenes U-Boot vor der Küste Javas! Das klingt wahnsinnig interessant. Wir hatten gehofft, Sie könnten uns vielleicht ein wenig darüber …«
Rudd riss die Augen auf, dann verengte er sie zu schmalen Schlitzen. »Woher wisst ihr davon?«
»Wir, also …« Becca zögerte.
»Am Hafen wird viel geredet«, kam ihr Henry zu Hilfe. »Einer hört etwas, erzählt es beim Bier einem anderen … Sie wissen doch selbst, wie das läuft.«
»Aber niemand weiß davon!« Rudds Hand begann zu zittern, so stark, dass weißer Schaum aus der Öffnung seiner Bierdose quoll. »Wir haben mit keinem darüber geredet, ganz wie der Professor …«
»Mit wem sprichst du da, Jeff?«
Eine breite, mit schwarzen Haaren übersäte Hand plumpste auf Rudds Schulter und zerrte ihn in den Flur zurück. Einen Augenblick später füllte die Gestalt eines zweiten, bedeutend breiteren Mannes den Türrahmen.
Sofort stach Henry die frappierende Ähnlichkeit mit Bud Spencer ins Auge. Der Teilhaber von Jeff Rudd – um niemand anderen konnte es sich handeln – war ebenso groß, dick und vollbärtig. Wie sein Geschäftspartner hielt auch er eine Dose Bier in der Hand. Unverhohlener Zorn funkelte Becca und Henry aus seinen verkniffenen Augen entgegen.
»Mr Irving, vermute ich?« Becca, die sich scheinbar von nichts aus der Ruhe bringen ließ, schenkte dem Fettwanst ihr strahlendstes Lächeln. »Wie wir gehört haben, sind Sie ein Stück vor der Küste auf ein gesunkenes U-Boot gestoßen. Wir dachten, Sie könnten uns vielleicht etwas über diesen spektakulären Fund …«
»Da habt ihr falsch gehört«, unterbrach Irving sie barsch. »Wir haben überhaupt nichts gefunden.«
»Und selbst wenn es so wäre, ginge es euch nichts an«, tönte Rudds Stimme aus dem Hintergrund.
Irvings bärtiges Gesicht verzog sich, und er warf einen wütenden Blick über seine Schulter. »Wie ich schon sagte«, wiederholte er, diesmal etwas beherrschter als zuvor. »Ihr seid offenbar falsch informiert. Die Geschäfte laufen schlecht. Jeff und ich haben seit geraumer Zeit keine interessanten Sachen mehr auf dem Meeresboden gefunden. Leider!« Er hob die Bierdose zum Mund, als sei damit alles gesagt.
»Genau«, tönte Rudd aus dem Hintergrund. »Ein deutsches U-Boot, was für ein Quatsch!«
Diesmal beließ es Irving nicht bei einem bösen Blick. Er wirbelte herum und machte einen schnellen Schritt nach drinnen, wobei er die Tür halb hinter sich zuzog. Ein dumpfes Geräusch war zu hören, gefolgt von einem schmerzerfüllten Keuchen.
Als Irving wieder erschien, lag ein breites, nicht sehr überzeugend wirkendes Lächeln auf seinem Gesicht. »Würdest du mir vielleicht verraten, von wem ihr diese Information habt, mein Kind? Diese falsche Information, meine ich?«
»Ohhh …« Unbeteiligt betrachtete Becca ihre Fingernägel. »Zwei Männer am Hafen haben darüber geredet. Und da mein Freund Henry und ich uns für alles interessieren, was mit dem Meer oder Tauchsport zu tun hat, waren wir sofort …«
»Tja, wie gesagt: Ihr seid leider einem Dummschwätzer auf den Leim gegangen.« Irving lachte gekünstelt und wollte offenbar noch etwas hinzufügen, als sich die Tür neben ihm zu bewegen begann. Ein schätzungsweise zwölfjähriger Junge kam zum Vorschein, gekleidet in zerrissene Jeans und ein viel zu großes Arbeiterhemd. Die schwarzen Krauslocken, die wirr von seinem Kopf abstanden, ließen keinen Zweifel, mit wem er verwandt war.
»Hier ist das Schild, Dad«, sagte er und hielt seinem Vater eine Magnettafel von der Größe eines Autokennzeichens hin. »Hab vergessen, es rauszuhängen.
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