Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
wären in einem solchen Fall ihre Überlebenschancen?«
Der russische Wissenschaftler verschränkte die Arme und sah Henry offen ins Gesicht. »Das Team war mit Proviant und Diesel für mehrere Wochen ausgestattet. Darüber hinaus hatten sie isolierte Zelte mit Heizbrennern und einiges an Überlebenstechnik an Bord. Sollten sie tatsächlich irgendwo festsitzen, sind sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nach wie vor wohlauf.«
»Es gibt allerdings noch eine andere Möglichkeit«, murmelte Professor Albrecht nachdenklich. Er hatte seine Brille abgenommen und polierte die dicken Gläser mit einem Stofftaschentuch. »Möglicherweise wollte Donald ab einem bestimmten Punkt keinen Kontakt mit der Außenwelt mehr.«
Rund um den Tisch wandten sich ihm verständnislose Gesichter zu.
»Wie meinen Sie das, Hilmar?«, wollte Lamont wissen.
»Nun …« Der Professor setzte die Brille wieder auf, wodurch seine kleinen Augen schlagartig auf das Doppelte ihrer eigentlichen Größe anwuchsen. »Falls die Entdeckung, die Donald im Eis gemacht hat, tatsächlich so bahnbrechend war, wie er es erwartete, wäre es denkbar, dass er die Sache für sich behalten wollte, bis er alles darüber herausgefunden hatte. Er könnte seinen Mitarbeitern untersagt haben, in Kontakt mit der Außenwelt zu treten, bevor alles vermessen, kartiert, archiviert und in Form von Proben ordentlich verpackt ist.«
Eileen sah ihn mit großen Augen an. »Sie meinen, er hatte vielleicht Angst, dass die Nachricht von seiner Entdeckung andere Wissenschaftler anlocken könnte? Dass ihm jemand seine Entdeckung streitig macht?«
Der Professor zuckte mit den Schultern. »Es war nur ein Gedanke. Aber wir wissen alle, wie fanatisch Donald sein kann, wenn es um neue Erkenntnisse auf seinem Spezialgebiet geht, nicht wahr?« Er warf einen Blick in Henrys Richtung, dem nichts anderes übrig blieb, als zu nicken.
»Wie dem auch sei.« Eileen ließ eine geballte Faust auf die Tischplatte krachen. »Das sind müßige Spekulationen. Wir müssen etwas unternehmen, so viel steht fest!«
»Wieso wurden wir eigentlich nicht früher über Donalds Verschwinden benachrichtigt?«, wollte Dr. Lamont in ruhigem Ton wissen – eine Frage, die Henry ebenfalls schon durch den Kopf gegangen war.
»Ich meine, wenn Sie schon so lange keinen Kontakt mehr mit ihm haben? Sie wussten doch, dass wir mit einer Materiallieferung hierher unterwegs waren.«
Thomas Lomac, der irgendwann während der letzten Minuten ein iPhone aus seiner Jackentasche gezogen hatte und konzentriert aufs Display schaute, sah irritiert auf. »Den offiziellen Status ›Vermisst‹ trägt die Spyker-Expedition erst seit wenigen Tagen. So wollen es die Vorschriften.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern und wandte sich wieder seinem Smartphone zu.
»Was ist seit diesem Zeitpunkt alles unternommen worden?«, erkundigte sich Professor Albrecht.
»Die Funkstation versucht rund um die Uhr, die Spyker-Expedition zu erreichen, auf sämtlichen Frequenzen«, erklärte Morten Gray. »Ich selbst habe gestern eine Nachtschicht eingelegt.«
»Das war sehr … Danke«, brachte Henry mit belegter Stimme hervor.
»Darüber hinaus werden ihre Satellitentelefone regelmäßig angewählt«, ergriff Thomas Lomac wieder das Wort. Er steckte sein iPhone fort und erhob sich umständlich. »Darüber hinaus haben wir unmittelbar nach dem Ausfall der GPS-Peilung einen VXE-6 losgeschickt, um nach den beiden SnoCats zu suchen.«
»Einen was?« Henry hob fragend die Brauen.
»Einen Hubschrauber, Junge.« Lomac schenkte ihm ein überhebliches Lächeln.
Henry setzte sich ärgerlich in seinem Stuhl gerade. »Und? Hat er etwas gefunden?«
»Der Einsatz von Hubschraubern außerhalb der regulären Routen ist problematisch, besonders im Winter«, verkündete Lomac im gelangweilten Ton eines Oberlehrers. »Die Piloten können nicht auf gut Glück ins Eis hinausfliegen. Sie müssen sich in der Nähe bestimmter Versorgungslager halten, wo sie Treibstoff nachtanken können. Sonst laufen sie Gefahr, im ewigen Eis mit leerem Tank liegen zu bleiben und zu erfrieren.«
»Die Position, an der sich das Spyker-Team vor seinem Verschwinden fast zwei Wochen lang aufhielt, liegt über dreihundert Kilometer nordöstlich von hier«, warf Golitzin erklärend ein. »Warten Sie, ich werde es Ihnen zeigen …« Er klappte einen Laptop auf, der vor ihm auf dem Tisch stand. Sofort hellte sich das Whiteboard hinter seinem Rücken auf. Der Russe fummelte am Trackpad
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