Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
hatte seinen Job verdammt gut gemacht. Nicht einmal kalte Füße hatte er während der zweiten Runde Zeltaufbau bekommen. Andererseits waren die Temperaturen auch noch nicht ansatzweise so mörderisch gewesen, wie es ihnen im Landesinnern möglicherweise drohte.
Darüber hinaus stellte Henry fest, dass die nervöse Erregung, die er am Morgen beim Aufwachen verspürt hatte, sich gelegt hatte und einer beherrschten Entschlossenheit gewichen war. Vielleicht lag es daran, was er heute über das Überleben im ewigen Eis gelernt hatte. Etwas Ähnliches hatte er schon einmal, nach seiner ersten Lektion im Paragliding, erlebt, vor der ihm alles andere als wohl gewesen war. Seitdem wusste er, dass man vor Dingen, von denen man rein gar nichts verstand, viel mehr Angst hatte als vor solchen, über die man bereits gewisse Grundkenntnisse besaß. Dank Dr. Golitzins Einweisung machte er sich fürs Erste keine Gedanken mehr darüber, was die Polarregion an Widrigkeiten für sie bereithalten mochte. Und das war gut so. Nun konnte er sich ganz darauf konzentrieren, seinen Vater zu finden.
Als sie vor dem großen Laborgebäude ankamen, parkten dort zwei Fahrzeuge, die am Morgen noch nicht da gewesen waren. Offenbar handelte es sich um die beiden bestellten Expeditionsmobile.
Das erste war ein SnoCat. Im Gegensatz zu dem Exemplar, mit dem Golitzin sie herumfuhr, wirkte dieses Modell geräumiger. Es konnte gut und gern zehn Personen plus Gepäck aufnehmen. Außerdem schien es deutlich neuer zu sein.
Ein Stück dahinter stand ein Gefährt, wie Henry noch nie eines gesehen hatte. Es war kleiner als der SnoCat und machte den Eindruck, als habe jemand zwei Passagiergondeln einer Hochgebirgs-Seilbahn auf Laufketten gestellt und durch eine Anhängerkupplung miteinander verbunden. Die beiden Kästen waren gelb lackiert, rechteckige Fenster erlaubten Einblick in einen karg gestalteten, funktionalen Innenraum. Auf dem Dach der hinteren Fahrzeughälfte hatte man Ausrüstungskisten und Gepäckstücke gestapelt, mit Allwetterplane abgedeckt und fest verzurrt.
Als Henry ausstieg und sich dem absonderlichen Fahrzeug näherte, kam zwischen den beiden Wagenteilen ein junger Bursche in Polarkleidung zum Vorschein. Er trug weder Mütze noch Kapuze, sein hageres Gesicht war von Pickeln übersät und wurde von halblangem, strähnigem Haar eingerahmt. In einer behandschuhten Hand hielt er einen riesigen Schraubenschlüssel, in der anderen einen Blechkanister mit langem Einfüllstutzen. Henry schätzte ihn auf siebzehn, höchstens achtzehn Jahre.
»Ist alles bereit, Lincoln?« Boris Golitzin stapfte heran und inspizierte mit zusammengekniffenen Augen die beiden Fahrzeuge.
Der junge Mann knallte grinsend die Hacken zusammen und salutierte übertrieben. »Jawohl, Sir! Alles in bester Ordnung.«
»Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen …« Golitzin drehte sich zu seinen Begleitern um und wies auf den langhaarigen Jungen, der jetzt den Kanister im hinteren Abteil des gelben Fahrzeugs verstaute. »Lincoln Packard, unser Techniker.«
Der Junge kam wieder zum Vorschein, zog einen ölverschmierten Handschuh aus und reichte nacheinander allen Anwesenden die Hand. Als er bei Henry ankam, hellte sich sein Gesicht auf. »Du musst Henry sein, stimmt’s? Shit, bin ich vielleicht froh, dass auf dieser Tour wenigstens einer dabei ist, der nicht aus dem Seniorenheim ausgebüxt ist!« Er grinste respektlos. »Ich bin Lincoln. Du kannst Link zu mir sagen. Machen hier fast alle. Bis auf Dr. Golitzin natürlich.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Link.«
»So, wie du guckst, könnte man meinen, du hättest noch nie einen Hägglund gesehen?«
»Einen was?«
Lincoln deutete auf das merkwürdige zweigeteilte Fahrzeug hinter sich. »Einen Hägglund Bv206. Das vielseitigste Geländefahrzeug der Welt!«
Henry schüttelte den Kopf. »Hab ich auch nicht. In Toronto fahren davon nicht allzu viele herum.«
Sein Gegenüber lachte prustend. »Kann ich mir denken! Der Hägglund wird von einer schwedischen Firma ausschließlich für den Einsatz in schwer zugänglichen Gebieten hergestellt. Es gibt gepanzerte Varianten fürs Militär oder speziell beheizte und isolierte für arktische Regionen, so wie diesen hier. Er ist eines der wendigsten Geländefahrzeuge, die es gibt.«
»Dieses plumpe Ding?«
»Lass dich von der Optik nicht täuschen.« Lincoln drehte sich halb um und tätschelte beinahe liebevoll die Seitenwand des Gefährts. »Vorder- und Hinterwagen
Weitere Kostenlose Bücher