Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Titel: Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
Vom Netzwerk:
möglich aufbrechen würden, doch beim gemeinsamen Frühstück im Gesellschaftsraum des Crary-Labors erfuhr er, dass der Polarexperte zunächst anderes mit ihnen vorhatte. Wie er erklärte, würde er die Polar-Novizen nicht hinaus ins ewige Eis lassen, ohne ihnen zuvor einige grundlegende Überlebenstechniken beizubringen. »Ansonsten könnten Sie ebenso gut in Badehosen und Flip-Flops dort hinausrennen. Das Resultat wäre dasselbe«, erklärte Golitzin ohne die geringste Andeutung eines Lächelns.
    So hatten sie sich zunächst in einen turnhallenähnlichen Raum begeben, wo ihnen der Russe den korrekten Umgang mit den dicken, an Kokons erinnernden Schlafsäcken beibrachte, die zu ihrem Expeditionsgepäck gehörten. Es folgte eine Einweisung in die Funktion diverser Gurte, Seile und Zugsysteme, die zum Verzurren von Gepäck oder der Bergung gestürzter Teammitglieder vorgesehen waren.
    Nach einem Auffrischungskurs in Erster Hilfe und einem raschen Mittagsimbiss in der Laborkantine ging es nach draußen. Henry, Eileen, der Professor und Dr. Lamont mussten ihre Polarmonturen anlegen, dann brachte sie Dr. Golitzin mit dem SnoCat auf einen verschneiten Hang am Fuß des Observation Hill. Dort zeigte er ihnen, wie man sich beim Ausrutschen auf vereistem Boden korrekt verhielt, wie man stürzte, ohne sich zu verletzen oder andere mitzureißen.
    Schließlich kamen sie zum wichtigsten Programmpunkt: dem Aufbau der Zelte. Golitzin erklärte, dass sie zwar an Bord von Fahrzeugen mit geheizten Fahrgastkabinen unterwegs sein würden, deren Erwärmung über Nacht aufgrund der mäßigen Isolierung aber überproportional viel Diesel kostete. Und Kraftstoff galt es auf einer Fahrt, deren Länge nicht abzuschätzen war, einzusparen, wo es nur ging.
    Die Zelte befanden sich in den gelben Ballen, die Henry bereits auf der Anreise gesehen hatte. Im aufgebauten Zustand waren sie recht klein, dafür war ihre Konstruktion erstaunlich stabil, besonders wenn man sie von außen mit Schnee oder Eisblöcken verstärkte. Der Innenraum wurde mit einem Heizgerät erwärmt, das Kerosin verbrannte und nicht größer war als ein tragbarer CD-Player. Eine Luftschicht zwischen innerer und äußerer Zelthaut half, die Wärme drinnen und die Kälte draußen zu halten.
    Henry hockte gerade in seinem fertiggestellten Einmannzelt und las sich die Anleitung des Heizgeräts durch, als die Eingangsschleuse geöffnet wurde und Dr. Golitzin sich zu ihm in den engen Innenraum quetschte.
    »Blin! Bei eurem Professor ist wirklich Hopfen und Malz verloren.« Kopfschüttelnd ließ er sich neben Henry auf einer Werkzeugkiste nieder. »Dr. Cavanaugh geht ihm und Lamont jetzt zur Hand, aber die Zeit der beiden ist hoffnungslos im Eimer. Ich fürchte, ich werde euch die Zelte noch mal ab- und wieder aufbauen lassen müssen.«
    »Ich hatte gehofft, wir könnten allmählich …«, begann Henry vorsichtig.
    »Wir würden höchstens eine oder zwei Stunden gewinnen, wenn wir sofort aufbrächen.« Golitzin nahm seine Schutzbrille ab und sah ihm tief in die Augen. »Dafür würden allerdings unsere Chancen, deinen Vater zu finden und lebendig zurückzukehren, um ein Vielfaches sinken. Stell dir vor, mir stößt unterwegs etwas zu und ihr seid plötzlich alleine dort draußen. Ohne Routine im Umgang mit den Zelten wärt ihr dem Tode geweiht.«
    Henry hielt dem Blick des Wissenschaftlers stand. Er nickte.
    »Ich wusste, du würdest das verstehen.« Zufrieden machte sich Golitzin am Kerosinbrenner zu schaffen. »Weißt du, wie der britische Polarforscher Ernest Shackleton im Jahre 1907 seine Stellenanzeige formulierte, um Personal für eine Forschungsreise zum Südpol anzuwerben? ›Männer gesucht für gefährliche Reise bei schneidender Kälte, lang währender Dunkelheit, ständiger Gefahr und kleinem Gehalt. Sichere Rückkehr zweifelhaft. Bei Erfolg. Ruhm und Ehre.‹«
    Mit wenigen Handgriffen schaltete Golitzin das Gerät ein und drehte es auf die höchste Stufe. Ein leichter Kerosingeruch breitete sich aus, dann begann die Temperatur im Innern des Zelts merklich zu steigen. Schließlich war es so warm, dass Henry seine Handschuhe ausziehen und die Kapuze zurückschlagen konnte. Das Thermometer an seinem Kragen, das während des Eisblockschneidens minus zwanzig Grad angezeigt hatte, war im Handumdrehen auf zwölf emporgeklettert – über null, wohlgemerkt. Und es stieg weiter.
    »Zum Glück hat die Expeditionstechnik seit Shackletons Tagen ein paar Fortschritte gemacht«,

Weitere Kostenlose Bücher