Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
begonnen hatte, von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen. Als Einziger hatte er darauf verzichtet, seinen Kapuzenparka anzulegen, lediglich eine Fleecemütze bedeckte sein fettiges Haar. »Ich friere mir allmählich ’nen Wolf.«
Niemand beachtete ihn.
»Wir müssen uns entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen«, verkündete der Professor. »Schlagen wir hier ein Lager auf, nehmen die mitgebrachte Ausrüstung in Betrieb und versuchen herauszufinden, was Donald am Grund des Bohrlochs entdeckt hat? Oder …«
»Oder?«, wiederholte Eileen.
»Sie wollen hierbleiben und in aller Ruhe Ihre Maschinen aufbauen?« Henry glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Während Dad möglicherweise ganz in der Nähe in einer Notlage steckt?«
»Die GPS-Daten, die den anschließenden Weg deines Vaters dokumentieren, enden nicht weit von hier«, gab Dr. Golitzin zu bedenken. »Jenseits dieses Punktes dürfte es schwierig werden, seine Route zu rekonstruieren.«
»Shit, ich frier mir die Klöten ab«, wiederholte Lincoln. »Könnten wir das nicht drinnen …«
»Aber anhand der Untersuchungen gewinnen wir vielleicht einen Hinweis darauf, wohin Donald weitergezogen ist«, verteidigte der Professor seinen Vorschlag. »Irgendetwas muss schließlich den Ausschlag gegeben haben, dass er diesen Ort schon so bald wieder verlassen hat, anstatt auf uns zu warten.«
Henry verschränkte die Arme und sah den kleinen Akademiker auffordernd an. »Sie sagten eben ›oder‹, Herr Professor. Wie lautet die Alternative?«
»Die Alternative wäre, ohne Aufenthalt weiter nach Osten zu fahren«, hob Morten Gray zum ersten Mal die Stimme. Er stand mit verschränkten Armen am Rand der Gruppe und hatte die Diskussion schweigend verfolgt. Nun trat er vor. »Wir könnten die letzte aufgefangene Positionsmarke des Spyker-Teams in unser Leitsystem eingeben und schauen, was wir an diesem Punkt finden. Möglicherweise stoßen wir dort auf Dr. Wilkins’ Team. Oder zumindest Spuren, die uns Hinweise auf ihren Verbleib geben.«
»Möglicherweise.« Golitzins Stimme verriet nicht, ob er Grays Vorschlag gut oder schlecht fand. »Aber wenn der Endpunkt der Peilsignale einfach irgendwo im Nirgendwo liegt? Ein Stück unberührten Schnees? Was dann?«
»Dann könnten wir auf Basis von Dads bisherigem Kurs eine hypothetische Fortsetzung der Route errechnen«, trumpfte Henry auf. »Ich habe mir den Navigationscomputer im SnoCat angesehen. Er verfügt über einen speziellen Algorithmus für solche Fälle. Auf Basis eines vorhandenen Streckenabschnitts kann er den wahrscheinlichsten Zielpunkt dieser Teilroute errechnen, unter Einbezug aller geografischen Gegebenheiten auf dem Weg.«
Golitzin musterte ihn einen Augenblick schweigend. »Du kennst dich wirklich gut aus mit diesen technischen Apparaten«, stellte er dann fest.
»Wir stimmen ab«, beschloss Eileen.
»Also, ich für meinen Teil bin dafür, dass wir sofort ins Warme gehen«, erklärte Lincoln bibbernd.
»Wer ist für Professor Albrechts Vorschlag, hierzubleiben, das Bohrloch zu räumen und die angeblichen Muster unter dem Eis zu untersuchen?«
Niemand außer dem Professor hob die Hand.
»Wer ist für Mr Grays Vorschlag, den Rest der bekannten Route abzufahren und, falls wir an deren Ende nichts finden, mithilfe des Navigationscomputers die hypothetische Fortsetzung von Donalds Kurs zu errechnen?«
Henry hatte den Arm schon in der Luft, bevor Eileen den Satz beendet hatte. Sie meldete sich ebenfalls, dann folgten die Hände von Dr. Lamont und Morten Gray. Sogar Lincoln plädierte dafür, wobei er zwischen zusammengekniffenen Zähnen nuschelte: »Shit, ich bin mit allem einverstanden. Hauptsache, ich komme ins Warme!«
Kurz sah es so aus, als wollte sich Boris Golitzin enthalten. Dann hob auch er den Arm. »Uns bleibt noch etwa eine Stunde Tageslicht. In die Fahrzeuge!«
8
ANTARKTIS, 10. APRIL 2013
»Blin! Manchmal hasse ich es, recht zu behalten.« Dr. Golitzin ließ den SnoCat ausrollen und starrte mit gerunzelter Stirn über die uferlose weiße Fläche, die sich auf der anderen Seite der Windschutzscheibe ausbreitete. Bereits seit dem Morgen wehte ein schneidender Wind aus dem Landesinnern und wirbelte die Eiskristalle auf, die sich über Nacht auf dem Schnee gebildet hatten. Die Luft sah aus, als sei sie voll glitzernden Diamantstaubs.
»Ich fürchte, wir haben das Ziel unserer zweiten Etappe erreicht: irgendwo im Nirgendwo!«
Trotz des beinahe märchenhaften Anblicks war die
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