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Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Titel: Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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der vom SnoCat aus in regelmäßigen Abständen ihre Position ans Camp sendete.
    »Wie reizend«, erklärte Gray, nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte. Er nahm seine riesigen Kopfhörer ab und schüttelte den Kopf. »Lomac macht sich Sorgen.«
    »Um uns?«, erkundigte sich Henry ungläubig.
    »Nein. Natürlich um seine Fahrzeuge. Der Kollege von der Funkstation hat ihm mitgeteilt, dass wir zwei Tage bei schlechter Sicht durch starkes Schneetreiben fahren mussten. Nun lässt er ausrichten, wir sollten sofort umkehren, falls das Risiko für ›Mensch und Material‹ zu groß würde. Wobei klar sein dürfte, woran ihm mehr gelegen ist.«
    »Was für ein Arschloch!« Henry warf einen raschen Blick in die Runde, aber keiner der beiden Wissenschaftler schien ihm den spontanen Ausruf übel zu nehmen. Lincoln kicherte auf dem Beifahrersitz albern vor sich hin.
    Am Nachmittag – ein Ende des Sastrugi-Ozeans war weit und breit nicht in Sicht – meldete sich das Bordfunkgerät. »Dr. Lamont?«, krächzte Golitzins Stimme. »Ich fürchte, der Professor ist seekrank. Er macht gerade seine zweite Tüte voll. Können Sie irgendwas dagegen tun?«
    »Er soll etwas von dem Präparat gegen Reiseübelkeit nehmen, das er auf dem Herflug von mir bekommen hat«, gab Lamont zurück und entblößte seine ebenmäßigen Kunstzähne in einem breiten Grinsen.
    Er wurde rasch wieder ernst, als sein Blick auf die Anzeige des Außenthermometers fiel. »Minus dreiundvierzig, fallend«, las er ab. »Zeit, die Anwesenden noch einmal auf die Gefahren von Unterkühlung hinzuweisen.« Er setzte sich aufrecht hin und machte ein wichtiges Gesicht. Zum ersten Mal seit ihrem Abflug in Toronto wirkte er trotz der dicken Expeditionskleidung wie ein richtiger Arzt.
    »Achtet beim Auf- und Abbau der Zelte – generell bei allem, was ihr draußen tut – darauf, dass ihr stets in Bewegung seid«, warnte er. »Im Stehen oder Sitzen kühlt der Körper blitzschnell aus, mag er in noch so viele Schichten Iso-Stoff gehüllt sein. Viele Polreisende merken erst viel zu spät, dass sie sich längst im Bereich gefährlicher Unterkühlung befinden …«
    »So wie dieser deutsche Bergsteiger«, warf Lincoln grinsend ein. »Reinhold Messner, oder wie er heißt. Der kam von irgendeiner Bergtour zurück und stellte erst zu Hause fest, dass ihm die Hälfte seiner Zehen abgefroren waren. So war’s doch, oder?«
    Lamont wandte seinen Blick für einen kurzen Moment von dem unwegsamen Gelände vor der Scheibe ab und sah Lincoln ohne das geringste Anzeichen von Humor an. »Keine Sorge, Link: Frostbeulen und Erfrierungen bemerkst du früh genug. Die Auswirkungen genereller Auskühlung sind aber mindestens ebenso gefährlich, eben weil man sie unter Umständen nicht gleich bemerkt. Ein sicheres Anzeichen für ein kritisches Abfallen der Körpertemperatur ist das Nachlassen des Gedächtnisses.«
    »Wie?« Henry war den Worten des Mediziners interessiert gefolgt. »Was hat das Erinnerungsvermögen mit der Kälte zu tun?«
    »Wollen Sie etwa behaupten …«, schaltete sich auch Lincoln wieder ein. Mitten im Satz riss er ruckartig den Arm hoch und deutete durch die Windschutzscheibe nach draußen. »Vorsicht, hinter dem Kamm da geht’s mindestens drei Meter tief … hey, gut gemacht!« Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Sie meinen also, das Gehirn friert bei großer Kälte quasi ein?«
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Ganz so ist es natürlich nicht. Tatsache ist aber, dass der menschliche Organismus bei anhaltender Unterkühlung die Körperfunktionen zurückfährt, um Energie zu sparen. Ab einer Körpertemperatur von 34,6 Grad lässt die Erinnerung merklich nach, ab 33,4 Grad steht nur noch grob ein Drittel der Hirnkapazität zur Verfügung. Unterhalb von 32 Grad schließlich fällt selbst der stärkste Preisboxer in Ohnmacht.« Er zwinkerte Henry über die Schulter hinweg zu. »Solltest du dich mal länger als geplant im Freien aufhalten, frag dich also öfters, ob dir der zweite Vorname deiner Großmutter väterlicherseits noch einfällt. Falls nicht, könnte die Situation kritisch sein.«
    Henry bedankte sich für den Tipp. Lincoln nuschelte auf seinem Sitz etwas vor sich hin, das wie »Ethel« klang.
    Gut zwei Stunden später wurden die Sastrugi-Wogen allmählich flacher. Schließlich ließen sie die letzten Eiswogen hinter sich und rollten über einigermaßen ebenen Untergrund. Das Gelände vor ihnen stieg nach wie vor stetig an. Golitzin übernahm mit dem

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