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Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Titel: Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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zögernd nickte, rückte Lincoln nochmals ein Stück näher, bis ihre Gesichter nur noch eine Handbreit voneinander entfernt waren. Henry konnte den würzigen Duft des Instant-Hackbratens riechen, den Lincoln zum Abendessen gehabt hatte.
    »Ich sag dir die Wahrheit: Ich hab Schiss, Mann! Und zwar nicht nur davor, dass hier vielleicht irgendwo so ein graues Vieh mit dem Kopf eines Seesterns herumläuft.«
    »Nicht?« Das Bild, das spontan vor Henrys geistigem Auge aufblitzte, hatte durchaus etwas Verstörendes.
    »Diese ganze Sache mit der Expedition deines Vaters, sein Verschwinden und all das …«
    Henry verengte die Augen. »Ja?«
    Lincoln hielt seinem Blick einige Sekunden stand, dann rückte er von Henry ab und zog sich die Mütze über den Kopf. »Ich denke einfach, wir sollten in den nächsten Tagen auf der Hut sein. Sonst nichts.«
    Er erhob sich, klappte den Windstopperkragen seines Parkas hoch und wandte sich der Schleuse zu. Bevor er zum Reißverschluss griff, drehte er sich ein letztes Mal um. »Tat gut, mit jemand zu reden. Ich mein’s ernst, Mann! Danke, dass du mir zugehört hast.«
    »Danke, dass du mir deine Gedanken anvertraut hast. Aber jetzt geh schlafen, morgen müssen wir in aller Herrgottsfrühe wieder raus.«
    Lincoln nickte, nuschelte etwas, das wie »G’nacht« klang, und war verschwunden.
    Henry lauschte seinen Schritten im Schnee, dem Ratschen der Reißverschlüsse des Hauptzelts. Dann senkte sich Stille über das Lager.
    Zu gern hätte Henry alles, was er eben gehört hatte, der blühenden Fantasie eines kiffenden Science-Fiction-Fans zugeschrieben. Doch während er die Lampe löschte und zurück in seinen Schlafsack kroch, merkte er, dass er das nicht konnte.
    Als sein Wecker knapp sechs Stunden später piepte, hatte er nicht einmal eine Stunde geschlafen.

13
     
    ANTARKTIS, 11. APRIL 2013
     
    »Was ist los? Du wirkst so still, seit wir losgefahren sind.« Mit besorgtem Gesicht ließ sich Eileen im Heck des SnoCat neben Henry nieder. »Muntert dich die Aussicht nicht auf, dass wir deinem Dad dicht auf den Fersen sind? Mit etwas Glück bringt uns jeder Meter, den wir gerade zurücklegen, Donald ein Stück näher!«
    Henry schrak aus seinen Gedanken hoch und sah auf. Natürlich hatte Eileen recht: Das Materiallager, vor allem aber das Expeditionstagebuch seines Vaters waren konkrete Lebenszeichen, und die Positionsangabe, der sie seit dem frühen Morgen folgten, eine heiße Spur. Henry war klar, das er eigentlich nervös auf seinem Sitz hätte herumrutschen und Dr. Golitzin alle zehn Minuten mit einem ungeduldigen »Wie weit ist es noch?« hätte nerven müssen. Stattdessen hatte er den Vormittag damit zugebracht, dumpf vor sich hin zu brüten. Und das war, zumindest zu einem gewissen Teil, Lincolns Schuld.
    Die halbe Nacht hindurch hatte Henry sich eingeredet, dass Links Theorie albern war und der Fund des Kadavers, ganz gleich, worum es sich dabei handelte, nicht zwingend etwas mit dem Steinpfeiler und dem unerklärlichen Lageplan auf dessen Spitze zu tun haben musste. Beides mochte für sich betrachtet mysteriös anmuten, aber höchstwahrscheinlich gab es für beide Phänomene eine ganz rationale Erklärung.
    Davon zumindest hatte Henry sich bis zum Morgengrauen zu überzeugen versucht.
    »Ich weiß, wie es ist, wenn man sich Sorgen um den wichtigsten Menschen macht, den man auf der Welt hat«, sagte Eileen unvermittelt.
    Henry brauchte einen Moment, bis er begriff, dass sie auf seinen Vater anspielte.
    »Ich war mal verheiratet, weißt du?«, fuhr Eileen nach einer kurzen Pause fort. »Es ist schon ein paar Jahre her, aber manchmal kommt es mir vor, als wäre ich immer noch neunzehn und alles wäre erst vergangene Woche passiert.« Sie drehte den Kopf und starrte durch das Seitenfenster in die Trostlosigkeit des Eises hinaus. »Jeremy war ein begeisterter Kletterer. Fast jedes Wochenende fuhr er in irgendeinen Nationalpark, um Steilwände hinauf- oder Canyons hinunterzusteigen. Anfangs begleitete ich ihn noch, aber ich merkte schnell, dass ich nicht mithalten konnte. Also verzichtete ich irgendwann darauf.«
    Eileen hatte begonnen, Strähnen ihres dunklen Haars um ihren Zeigefinger zu wickeln. Ihr Blick war nach wie vor aus dem Fenster gerichtet. Sie schien Henry kaum noch wahrzunehmen.
    »Natürlich wusste ich, dass es ein gefährlicher Sport ist. Aber wir hatten ausgemacht, dass er mir immer sagte, wohin er fuhr, und sich regelmäßig morgens und abends über Handy meldete. Eine

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