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Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Titel: Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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knacksend zum Leben. »Was denken Sie, wie schnell wir noch fahren dürfen?«, erkundigte sich die Stimme Morten Grays.
    Golitzin überlegte kurz. »Zehn bis zwölf Stundenkilometer sollten das Risiko gering halten. Wer lenkt bei Ihnen?«
    »Dr. Lamont sitzt am Steuer.«
    »Gut. Unterstützen Sie ihn beim Ausschauhalten nach Spalten, Schneewänden oder Felsformationen. Selbst bei niedriger Geschwindigkeit kann eine Kollision zum Verlust eines Fahrzeugs führen. Das gilt es unter allen Umständen zu vermeiden! Ach, und gehen Sie längsseits zu uns. Dann fahren Sie in dieser trüben Suppe nicht auf, falls ich bremsen muss.«
    Gray bestätigte und stellte eine weitere Frage zur Beleuchtungseinrichtung des Hägglund. Während er sprach, vernahm Henry über den Äther die gedämpfte Stimme Lincolns, irgendwo aus dem Hintergrund: »… nicht mit rechten Dingen zu«, glaubte Henry ihn brabbeln zu hören. »… Reise unter einem schlechten Stern … wollen sie nicht, dass wir uns ihrem Landeplatz nähern … denselben Fehler hat schon Henrys Vater gemacht …« Sein Gemurmel verstummte, als Gray und Golitzin ihr kurzes Gespräch beendeten und die Verbindung unterbrachen.
    Während sie ihre Fahrt über das Eis im Schneckentempo fortsetzten, kehrte Henrys mulmiges Gefühl mit Verstärkung zurück. Lincolns Worte vom Vorabend schossen ihm durch den Kopf.
    … unsere Auffassung von dem, was wir ›Leben‹ nennen, auf den Prüfstand stellen, sobald wir über Wesen aus einer fernen Galaxis reden.
    Im Augenblick gibt es nicht viel, was wir tun können. Außer die Augen offen zu halten.
    Ich will dir die Wahrheit sagen: Ich hab Schiss, Mann!
    Obwohl Henry wusste, dass an dem Wetterphänomen, welches sich gerade um sie herum abspielte, nichts Übernatürliches war, konnte er nicht verhindern, dass ein Teil von Lincolns Nervosität auf ihn übersprang. In den folgenden Stunden ertappte er sich immer wieder dabei, wie er über die aufgestapelten Gepäckberge hinweg durch die Heckscheibe des SnoCat ins Weiß hinausstarrte.
    Auch wenn er es den anderen gegenüber nie zugegeben hätte - irgendwie rechnete er jedes Mal damit, hinter dem Fahrzeug könnte ein massiges graues Geschöpf mit seesternartigem Kopf über den Schnee dahinhetzen.
    Aber natürlich entdeckte er nie etwas. Dort draußen war nichts. Nur Eis.

14
     
    ANTARKTIS, 13. APRIL 2013
     
    Die Weiße Finsternis hielt für den Rest des Tages an, ebenso am nächsten sowie dem darauffolgenden Tag. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang war in allen Himmelsrichtungen nichts als Weiß zu sehen. Stunde um Stunde krochen sie mit erbärmlicher Geschwindigkeit durch eine unirdische, tote Leere.
    Die Stimmung an Bord des SnoCat war angespannt. Das mäßige Tempo und die ständige Gefahr durch unvermittelt auftauchende Hindernisse zerrten an den Nerven des gesamten Teams. Es wurde kaum noch geredet, der Auf- und Abbau der Zelte ging ebenso schweigend vonstatten wie die gemeinsamen Mahlzeiten. Zum Glück liefen alle notwendigen Handgriffe mittlerweile problemlos und routiniert ab, der beißenden Kälte zum Trotz, die sie beim Verlassen der Fahrzeuge jedes Mal von Neuem in die Knie zu zwingen versuchte.
    Stundenlang aus dem Fenster zu starren und im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu sehen, schlug auch Henry aufs Gemüt. Er spürte, wie seine Gedanken ständig um dieselben Fragen kreisten. Um sich abzulenken, spielte er auf seinem Netbook unzählige Runden Solitaire. Doch die geistlose Beschäftigung machte alles nur noch schlimmer.
    »Ohne die moderne Technik wären wir längst verloren«, verkündete Boris Golitzin am Nachmittag und tätschelte demonstrativ die GPS-Navigationseinheit.
    Die Welt jenseits der Windschutzscheibe bestand nach wie vor vollständig aus Zuckerwatte. Der einzige Farbfleck war der tröstliche rote Pfeil auf dem Bildschirm des Navigationssystems, der ihnen die Richtung wies.
    »Noch vor fünfzehn Jahren hätte ein mehrtägiges Whiteout eine Zwangsunterbrechung jeder Antarktisreise bedeutet«, fuhr der Russe fort. »Ohne satellitengestützte Navigation blieb einem keine Möglichkeit, seine aktuelle Position zu bestimmen. Eine Weiterfahrt wäre Selbstmord gleichgekommen.«
    In der nächsten halben Stunde erging sich Golitzin in Berichten über Expeditionen, die er während der vergangenen zwanzig Jahre durch die Antarktis begleitet hatte. Detailliert schilderte er Absichten und Ziele der jeweiligen Wissenschaftler, beschrieb ihre technische Ausrüstung und erzählte von

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