Schusslinie
Linkohr stolz fest,
als er an diesem Freitagabend zu Häberle ins Büro kam. Er hielt mehrere Ausdrucke
in der Hand. »Annas Telefonverbindungen. Das sind alles Nummern in der Slowakei.«
Er deutete auf einige markierte Nummern, »… das ist die Firma dieses Janos.
Es gab aber auch Gespräche nach Berlin. Und
jetzt dürfen Sie raten, wer sich dahinter verbirgt.«
Häberle zuckte mit den Schultern. Er war gespannt.
Wenn Linkohr so fragte, war mit allem zu rechnen.
»Wirtschaftsministerium«, kam die Antwort,
»das Büro des Ministerialdirektors Gangolf.«
44
Deutschland war auf Erfolgskurs. 3:0 hatte die Nationalmannschaft Tunesien
geschlagen. Und das Wetter war an diesem Wochenende, an dem die Sonne ihrem jährlichen
Höchststand entgegen strebte, wieder sommerlich geworden. Vergessen die Schafskälte.
Schon stöhnte die Nation wieder unter der drückenden Hitze. Häberle konnte sich
über die banalen Kommentare der Rundfunkmoderatoren regelmäßig amüsieren. »Jetzt
tun die wieder, als ob 28 Grad um diese Jahreszeit etwas ganz Außergewöhnliches
wären«, stellte er bei der Frühbesprechung an diesem Montagmorgen fest. Linkohr
machte einen verschlafenen Eindruck, pflichtete aber in der Kollegenrunde seinem
Chef bei: »Haarsträubend, was manchmal geschwätzt und geschrieben wird. Seit fast
einer Woche geht der Zirkus mit Michael Jackson ab – ich kann’s nicht mehr hören.«
Die Kriminalisten stimmten ihm mit entsprechenden
Kommentaren zu. »Typisch Amerika«, meinte ein älterer Kollege, »eine Riesenshow
um die Gerichtsverhandlung – und dann machen die Geschworenen in die Hose, bloß
weil es ein Prominenter ist. Wetten, dass es so war?«
»Der hat doch nicht alle Tassen im Schrank«,
kam eine andere Stimme aus dem Hintergrund, »ich hab den mal vor Jahren bei Gottschalk
in ›Wetten, dass‹ gesehn. Wie eine lebende Leiche ist der rumgelaufen, mit Mundschutz.
Ein Verrückter, sag ich euch. Und so einem Idol rennt unsere Jugend hinterher.«
Ein anderer Kollege bekräftigte ihn: »Wenn das die Vorbilder sind, brauchen wir
uns nicht zu wundern, dass die jungen Leute die wahren Werte nicht mehr erkennen.«
Häberle gefielen diese Worte. Er freute sich,
eine Mannschaft beieinander zu haben, die bodenständig war und sich nicht von jedem
angeblichen Trend beirren ließ.
Die Kollegen, die am Wochenende Dienst hatten,
waren mit den Telefonverbindungen dieser Anna vollauf beschäftigt gewesen. »Wie
es aussieht«, konstatierte ein Beamter aus der Runde, »sind hier etliche Sportfunktionäre
drunter, aber auch Wirtschaftsbosse. Lauter angesehene Persönlichkeiten. Die Anna
scheint eine exklusive Kundschaft zu haben.«
»Namen?«, fragte Häberle in den Raum und setzte
sich leger auf einen Schreibtisch.
»Beierlein, Pfisterer«, zählte ein schnauzbärtiger
Beamter auf, der die Ärmel hinaufgekrempelt hatte, »ein Rambusch ist dabei – und
auch welche aus der Landesregierung …« Er lächelte süffisant. »Wenn diese Liste an die Presse geht …«
»Das wird sie natürlich nicht«, stellte Häberle
fest, ohne es gleich wie eine Dienstanweisung klingen zu lassen.
»Und Lanski? Taucht auch Lanski auf?«, hakte
er nach.
Die Kollegen schüttelten die Köpfe. »Leider
nein«, antwortete einer, »dieser Kontakt scheint nicht bestanden zu haben.« Häberle
überlegte einige Sekunden, dann entschied er: »Wenn es eine eindeutige Schlüsselperson
gibt, dann ist es diese Anna. Was wissen wir über sie?«
Zwei Beamte, die sich bisher zurückgehalten
hatten, schlugen Akten auf. »Nichts Neues eigentlich«, ergriff einer von beiden
das Wort. »sie ist in der Slowakei heftig vorbestraft, war im Knast, hat zwei Brüder,
die in Österreich leben. Ihre Eltern wohnen wohl in Košice. In Deutschland bisher
unauffällig.«
»Aber begehrt«, fügte Häberle ironisch hinzu,
um eine Spur lauter festzustellen: »Ich muss da runter. Ich will wissen, was in
diesem Sumpf abgeht. Habt Ihr Kontakte über Interpol zu den Kollegen dort?«
Linkohr, der vor dem offenen Fenster am Sims
lehnte, hatte entsprechend recherchiert. »Sehr bürokratisch – trotz EU«, meinte
er.
»Was heißt das?«, höhnte Häberle. »Gerade deswegen
ist’s doch bürokratisch.«
»Es gibt einige Kollegen in Košice, die sprechen
etwas Englisch«, berichtete er, »ich hab ihnen eine E-Mail geschickt, aber bisher
keine Antwort erhalten.«
»Und über Interpol, offiziell?« Häberle ließ
nicht locker.
»Sie haben Akten angefordert und wir
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