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Schusslinie

Schusslinie

Titel: Schusslinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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verzichtet auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, ist
bereit ohne Lohnausgleich mehr zu arbeiten – ja, und schon verhandelt die Gewerkschaft
nicht um Tariferhöhungen, sondern ist froh, wenn der Lohn nur um ein oder zwei Prozent
gekürzt wird. Herr Pfisterer, ich bitt Sie, was hätt den Unternehmern Besseres passieren
können?«
    Der Weißhaarige deutete ein Nicken an, ohne
etwas zu sagen.
    »Und nicht die bösen Konservativen, denen man
solche Sauereien jederzeit zugetraut hätte, haben’s angerichtet, sondern die Sozialisten
und die Grünen. Hatten die Unternehmer jemals mehr Schützenhilfe? Irgendwann wird
man sagen, die Rot-Grünen hätten die Drecksarbeit für die Konservativen gemacht.«
Liebenstein reckte den Kopf, um über die blühenden Sträucher und Stauden der Terrassenbegrenzung
hinweg auf die Dächer von Grunbach hinab zu sehen. »Sie können nach Herzenslust
in Südosteuropa oder in China oder sonst wo investieren, bekommen das steuervergünstigt
und mancherorts sogar noch staatlich subventioniert – und sie können dort spottbillig
produzieren. Ich sag Ihnen doch nichts Neues, Herr Pfisterer: Die Gewinne der Konzerne
steigen teilweise ins Unermessliche – und was tun sie? Weiterhin Arbeitsplätze abbauen.«
    »Naja«, rang sich Pfisterer jetzt zu einem
Einwand durch, »das mit den Gewinnen dürfen Sie nicht verallgemeinern. Es gibt auch
andere Beispiele. Daimler …« Liebenstein winkte
ab und fiel ihm ins Wort: »Missmanagement. Gegen selbstverschuldete Miseren ist
kein Kraut gewachsen. Entschuldigen Sie, aber man kann durchaus den Eindruck gewinnen,
die Herrschaften in manchen Großunternehmen hätten angesichts der Gunst der Stunde
die Bodenhaftung verloren. Um es mal vorsichtig auszudrücken.«
    Pfisterer zeigte sich ein bisschen zerknirscht.
Dieser Liebenstein hatte gar nicht so Unrecht.
    »Was ich mit all dem sagen will?« Der Besucher
spannte wieder den Bogen zum Ausgangsthema. »Diese Stimmung im Lande ist eigentlich
nichts Schlechtes für die Unternehmen – hätte sich daraus nicht diese Kaufzurückhaltung
entwickelt. Etwas, das auch in Unternehmerkreisen anfangs unterschätzt wurde. Eigentlich
aber klar: Je häufiger von Arbeitsplatzabbau gesprochen wird, desto mehr drückt
dies aufs Gemüt der Verbraucher. Geld, das wissen wir, liegt noch mehr als genug
auf den privaten Sparkonten. Nur will’s keiner mehr ausgeben. Und gerade darin besteht
jetzt unsere Aufgabe. Und Chance.« Liebenstein trank sein Glas leer. Frau Pfisterer
schien zu gefallen, was der Gast sagte.
    »Die Stimmung muss besser werden. Dieses Land
braucht jetzt eine neue Identität, ein neues ›Wir‹-Gefühl.« Liebenstein kniff die
Augen zusammen. »So eine Aufbruchstimmung, verstehen Sie. Etwas, das dem Volke das
Selbstwertgefühl zurückbringt. Etwas, wo man sagen kann: Schaut her, wir haben’s
geschafft. Wir.«
    Den Unternehmer plagten trotz der Euphorie,
die sein Gast versprühte, weiterhin gewisse Zweifel. »Und wenn etwas schief läuft,
wenn die Sache auffliegt? Sie haben es mit ziemlich vielen Personen zu tun, vergessen
Sie das nicht.«
    »Dann wird keiner etwas wissen wollen – das
ist uns allen bewusst«, meinte er knapp. »Die ganz hohen Herren werden aus der Sache
absolut herausgehalten.«
    »MV?«, hakte der Hausherr vorsichtig nach.
Sein Gesprächspartner nickte.
    »MV, ja«, erwiderte Liebenstein, wohl wissend,
welch geradezu ehrfurchtsvollen Klang diese beiden Buchstaben in manchen Kreisen
hatten, »der weiß von nichts, aber auch Beckenbauer und Klinsmann nicht. Sie sollen,
wenn’s hart auf hart kommt, in nichts hineingezogen werden können. Saubere Weste,
wenn Sie verstehen …« Der Mann räusperte
sich. »Anweisung von Ministerialdirektor Gangolf.«
    Pfisterer strich sich über den Bierbauch, um
den herum sich ein viel zu enges Freizeithemd spannte. »Und es ist sichergestellt,
dass die Wirtschaft als Gesamtes nicht ins Zwielicht gerät? Ich denk nur an die
Boulevard-Presse, die wie die Hyänen über uns herfallen wird.«
    Liebenstein schüttelte den Kopf. »Sie können
mir glauben, Herr Pfisterer, es wird keine Spuren geben. Keine.«
    »Und wenn es doch eine undichte Stelle gibt?«
    Über Liebensteins Gesicht huschte ein gekünsteltes
Lächeln. »Dann – das dürfen Sie mir glauben – dann wird gehandelt.«
    Frau Pfisterers Miene verfinsterte sich.

9
     
    »Das Hirn förmlich rausgeschossen«, konstatierte Mike Linkohr, der
junge Kriminalist. In aller Eile waren im Lehrsaal des Geislinger

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