Schusslinie
Politiker schob seinen leeren Eisbecher zur Seite. »Neue Regierung,
neues Glück«, grinste er viel sagend.
»Und du? Was meinst du?«, wollte die Frau wissen,
deren stets positiver Gesichtsausdruck Riegert von Anfang an begeistert hatte.
»Die WM wird ein Riesenspektakel, ein Fest
fürs ganze Land«, erwiderte er in seiner ihm eigenen Sachlichkeit, »und dass wir
ein Erfolgserlebnis vertragen können, wie gesagt, das steht außer Zweifel. Aber
beeinflussen kannst du das nicht. Das kann genauso gut in die Hose gehen.« Er fügte
mit gedämpfter Stimme hinzu, als ob er Sorge habe, man könnte es an den Nebentischen
hören: »Wenn ich die Leistungen unserer Nationalmannschaft so sehe, Eva, ganz unter
uns und um ehrlich zu sein, dann mag ich im Moment nicht so recht an einen Erfolg
glauben. Aber es ist ja noch ein Jahr hin!«
Eva fasste ihn am Arm. »Seh’s nicht so schwarz,
Klaus. Vielleicht sollten wir nur alle zusammenhalten – und fest dran glauben.«
Sie lächelte ihn an und spürte, dass er die Bedeutung ihrer Worte nicht verstand.
Deshalb versuchte sie, ihn aufzumuntern: »Glaube versetzt Berge – nie gehört?«
Er nickte. »Nur haben leider manche der Jungs
nur noch Geld im Kopf.«
»Insoweit unterscheiden die sich nicht von
den Politikern.« Eva grinste.
Riegert hörte solche Anspielungen nicht gerne,
zumal er sein Amt bisher nie zum Eigennutz missbraucht hatte.
»Tut mir leid, Klaus, aber vielleicht sollte
man, was die Fußballer anbelangt, noch mehr Anreize schaffen.«
»Noch mehr?«
»Ja, die Bedingungen verbessern – ich meine,
man sollte vielleicht auch politisch den Fußballstandort Deutschland aufwerten.«
Der Politiker schwieg. Er konnte noch immer
nicht nachvollziehen, worauf Eva hinaus wollte. Wieder war es ihr plötzliches Interesse
am Fußball, das ihn stutzen ließ. Ihm war in den vergangenen Jahren nie aufgefallen,
dass sie sich sonderlich damit beschäftigt hätte.
»Die politische Einflussnahme ist gering«,
sagte er schließlich. »Heutzutage ist es doch eher umgekehrt: Jeder will Einfluss
auf die Politik nehmen – und hat damit in vielen Fällen sogar Erfolg. Leider.«
Eva legte ihren rechten Arm freundschaftlich
um seine Schulter. Das hatte sie bisher selten getan. »Mensch, Klaus, denk doch
mal drüber nach!« Sie schaute ihm tief in die Augen. »Die große Politik könnte zumindest
ein bisschen dazu beitragen, dass sich zwischen gewissen Interessengruppen und dem
Sport ein günstiges Klima entwickelt.«
»Welche Interessengruppen denn?«
»Naja – die Wirtschaft eben. Überleg doch,
Klaus: An diesem Spektakel, das so eine WM auslöst, hängen Milliarden. Vermutlich
wird’s in den nächsten zehn, zwanzig Jahren nichts Vergleichbares mehr geben. Es
ist eine riesige Chance für Deutschland. Die ganze Welt schaut zu uns – vier Wochen
lang.«
Der Politiker befreite sich dezent von der
Umarmung. Weshalb, so dachte er, weshalb machte sich die Frau für diese Weltmeisterschaft
so stark? »Und du bist davon überzeugt, dass es neben den sportlichen Leistungen
auch noch andere Möglichkeiten gibt, den WM-Titel zu erobern?«
Eva lächelte. »Sag mal, Klaus, wie lange bist
du jetzt schon in der Politik? Zwölf Jahre, sechzehn Jahre? Mir scheint, da weiß
sogar ich als einfache Angestellte des Wirtschaftsministeriums mehr über die Vorgänge
hinter den Kulissen als du.«
Diese Feststellung ärgerte ihn. Natürlich hatte
er damals schon nach den ersten Monaten bemerkt, wo der Hase hinlief. Was im Bundestag
stattfand oder was vor den Kameras gezerft wurde, das waren meist nur die Scheingefechte
fürs gemeine Volk. Die Weichen wurden im Hintergrund gestellt, in Ausschusssitzungen,
oft auch bei heimlichen, parteiübergreifenden Gesprächen. Aber da unterschied sich
die Bundespolitik nicht von den provinziellen Gemeinderäten.
»Du bist also davon überzeugt, dass es Einflussnahme
auf den Sport gibt?« Möglicherweise wusste Eva mehr. Der Kommissar in ihm wurde
wach.
»Das kann man sich an den Fingern einer Hand
abzählen, Klaus. Und ich bin davon überzeugt, dass die Kräfte, die dahinter stecken,
ziemlich mächtig sind.« Ihre Stimme hatte etwas drohend Geheimnisvolles angenommen.
»Und was bedeutet das deiner Ansicht nach?«
»Dass es sich empfiehlt, sie zu unterstützen«,
antwortete sie knapp. Um jedoch gleich gar keine parteipolitische Variante aufkommen
zu lassen, setzte sie hinzu: »Und das hat nichts mit der Regierungskoalition zu
tun, Klaus – überhaupt nicht. Das
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