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Schusslinie

Schusslinie

Titel: Schusslinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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beziehungsweise die Frau im Hause war.
    Die junge, hellhäutige Frau hatte sich erschrocken
herumgedreht, denn sie war gerade im Begriff gewesen, ihren Schreibtisch zu verlassen.
Ihre Chefin verharrte, blickte demonstrativ auf die Uhr und fuhr sie an: »Drei vor
halb eins. Die ›Dame‹ geht schon?«
    Das Mädchen blieb völlig verunsichert stehen
und wurde rot. »Es ist aber alles erledigt, Frau Siller«, stotterte es.
    »Was heißt erledigt? Zu tun gibt’s immer was
– oder sieht so ein Schreibtisch aus, auf dem alles erledigt ist?« Sie machte eine
energische Handbewegung. »Wenn du Langeweile hast, kannst du auch mal den Boden
wischen. Jedenfalls hasse ich es, wenn die Arbeitszeiten nicht eingehalten werden.«
Ute Siller warf die Bürotür, durch die sie gekommen war, kräftig zu. »Willst du
jetzt diesen Job hier behalten oder nicht? Willst du wieder zurück in die Gosse?
Oder lieber dort hin, wo man gründlich auf dich aufpasst?«
    Das Mädchen schluckte und stellte die Handtasche
wieder auf den Schreibtisch zurück.
    »Du bist schon x-mal morgens zu spät gekommen«,
keifte die Chefin, »x-mal. Wenn Herr Nullenbruch dies durchgehen lässt, mag das
seine Sache sein. Ich jedenfalls erwarte Pünktlichkeit.« Sie drehte sich zur Ausgangstür
und wurde lauter: »Damit eines klar ist: Dir wird für die Fehlzeiten schon mal ein
Urlaubstag abgezogen.« Dann verließ Ute Siller das Vorzimmer und warf auch diese
Tür mit voller Wucht ins Schloss.
    Als sie durch den Flur eilte, der mit farbigen
Fotos aus der eigenen Produktion behangen war, fühlte sie sich schon besser. Wieder
hatte ihr Selbstbewusstsein ein bisschen gewonnen. Vielleicht war es doch nicht
so schlecht gewesen, dieses ›junge Ding‹ einzustellen, an dem sie ihre Launen ausleben
konnte.
    Ute Siller stöckelte das Treppenhaus hinab,
ohne die anderen Angestellten zu grüßen, die jetzt auch in die Mittagspause strebten.
Sie hatte innerhalb des Hauses keine Bekanntschaften gepflegt, sondern war immer
auf Distanz bedacht. Ihr eilte deshalb der Ruf von Kühlheit und Arroganz voraus,
was gegenüber den Angestellten, wie sie meinte, nie schaden konnte. Wolfgang Meckenbach,
der Leiter der Produktion, saß bereits wartend in seinem Mercedes-Cabrio. Er strahlte
übers ganze Gesicht, als er sie kommen sah. Ute Siller warf ihre kleine Handtasche
auf den Rücksitz und ließ sich elegant in den Ledersitz neben Meckenbach nieder.
»Pünktlich, wie immer«, bemerkte er charmant.
    »Du weißt, ich achte auf Pünktlichkeit.« Sie
lächelte und sah ihn herausfordernd an. Für einen kurzen Moment überlegte er, ob
er ihr ein Begrüßungsküsschen auf die Wange drücken sollte. Doch er verwarf den
Gedanken wieder. Mehr als eine gemeinsame Mittagspause hatte es bisher nie gegeben.
Und jedes Mal war er verunsichert gewesen. Bisher hatte er es nicht gewagt, ihr
auch nur andeutungsweise näher zu kommen. Er rätselte aber schon lange, wie sie
seit der Scheidung ihre Abende und vor allem ihre Nächte verbrachte. Nur so viel
hatte er in Erfahrung bringen können: Ihr Mann war ausgezogen, nachdem er eine 20
Jahre jüngere Frau kennen gelernt hatte. »Irgend so ein junges Ding«, pflegte Ute
meist zu sagen, wenn sie darauf angesprochen wurde. Daran musste Meckenbach denken,
als er den Gewerbepark verließ und auf Göppingen zusteuerte. Am trüben Horizont
hob sich der charakteristische Kegel des Hohenstaufens schemenhaft ab.
    »Hat sich Nulli schon gemeldet?«, fragte sie
plötzlich sachlich. Wenn sie unter sich waren und keiner mithören konnte, nannten
sie den Chef nur beim Spitznamen.
    »Nichts. Er ist wie vom Erdboden verschluckt«,
entgegnete Meckenbach, dessen braun gebrannten Arme das lederne Lenkrad fest im
Griff hatten, als er mit weit überhöhter Geschwindigkeit auf Holzheim zufuhr und
schließlich hinter einem kriechenden Lastzug abbremsen musste.
    »Manchmal hab ich den Eindruck, er ist ein
Feigling«, stellte sie fest, »eines dieser Weicheier. Hast du gestern gemerkt? Er
hat Schiss. Deshalb will er jetzt hinausposaunen, was noch keinen etwas angeht.
Lieber Ärger mit der Gewerkschaft, als mit Gerüchten leben.«
    »Ich hab eher seinen Mut bewundert, mit dem
er das jetzt angeht«, wandte Meckenbach ein, während der Mercedes durch die Ortschaft
schlich.
    »Mut?«, wiederholte sie ungläubig, »Das ist
kein Mut. Das ist eine gewisse Hilflosigkeit, mit der er in solchen Situationen
reagiert. Dann lässt er sich auch keinen Rat geben. Er spielt den autoritären

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