Schusslinie
Besserwisser,
um andere Defizite zu verdecken.«
Meckenbach lächelte und schaute die Frau von
der Seite an. Sie war zweifellos hübsch. Aber unnahbar und ein Eisklotz, wie er
nicht besser zu dieser Witterung gepasst hätte.
Vorbei an den Gebäudekomplexen der Bereitschaftspolizei
erreichten sie den Göppinger Stadtrand, wo es im mittäglichen Verkehr unter der
Umgehungsstraße und der Überbauung eines Möbelhauses hindurchging.
»Was hältst du eigentlich von der Anna?«, fragte
die Frau.
»Von wem?« Er war darauf nicht vorbereitet.
»Na, das junge Ding in unserem Vorzimmer«,
erklärte sie leicht gereizt.
»Ach so, ja«, entgegnete er, »die Kleine.«
Er lächelte. »Ein bisschen naiv, wie ich finde, aber wenigstens schön anzuschauen …«
Utes Gesichtszüge versteinerten sich. »Typisch
Mann«, stellte sie fest. Er spürte, dass er etwas Falsches gesagt hatte und versuchte
es mit einem treuherzigen Blick. »Jetzt verallgemeinere das bloß nicht. Du weißt,
dass ich selbstbewusste Frauen schätze. Erfahrene Frauen …« Jetzt war die Zeit günstig, es endlich deutlich
zu sagen. »… solche, wie dich.«
Er wartete vergebens auf eine Reaktion und
konnte ihr Gesicht nicht sehen, weil er sich jetzt der Innenstadt näherte und auf
den Verkehr achten musste.
Sie schwieg. Meckenbach hätte viel dafür gegeben,
jetzt ihre Gedanken erraten zu können. Doch dass diese sich offenbar um etwas ganz
anderes drehten, als er es sich erhofft hatte, ließ ihre kühle Bemerkung erkennen:
»Die war schon sechs Monate im Knast.«
Er war irritiert: »Wer – die Anna?«
Ute nickte. »Daheim in Bratislava. Hat mehrmals
bandenmäßig Ladendiebstähle verübt – und sogar mal eine Waffe dabei gehabt, stell
dir vor. Aber die Justiz in der Slowakei langt Gott sei Dank in solchen Fällen gnadenloser
zu als unsere liberalen Richter. Ein Jahr hat sie gekriegt und hat die Hälfte davon
absitzen müssen.«
»Woher weißt du denn das?«, staunte Meckenbach.
Ute lächelte überheblich. »Man muss sich ja
schließlich informieren, wer einem da ins Vorzimmer gesetzt wird.«
»Und warum stellt Nulli ausgerechnet eine ›Zuchthäuslerin‹
ein? Traust du ihm eine solch soziale Ader zu?«
»Quatsch«, sie winkte ab, »er steht halt auf
solch ›junge Dinger‹.« Sie legte eine Pause ein, während der Mercedes über die hufeisenförmige
Bahnbrücke kroch. »Sie hat deutschstämmige Eltern. Was weiß ich, wo er sie in der
Slowakei aufgegabelt hat. Ist doch ganz praktisch. So eine Kleine ist ihm hörig
– und vor allem nicht aufmüpfig. Daheim kriegt sie keinen Job – und hier bei uns
im Westen doch auch nur, wenn sich ein Wohltäter wie Nulli findet.«
Meckenbach umfuhr das Zentrum nördlich, steuerte
auf der Burgstraße an der Parkanlage der Oberhofenkirche vorbei und stellte das
Cabrio schließlich in einer der Nebenstraßen ins eingeschränkte Halteverbot. Er
lächelte seine unnahbare Beifahrerin an und stieg aus. Sie griff nach ihrer Handtasche
und verließ den Wagen ebenfalls. Kühler Wind blies ihnen entgegen. Nach knapp zwei
Minuten hatten sie das italienische Restaurant erreicht, das für seine herrliche
Gartenwirtschaft bekannt war. Doch heute war sie verwaist. Im Innern des stilvoll
im mediterranen Ambiente eingerichteten Lokals stellte Meckenbach erleichtert fest,
dass es noch einige freie Tische gab. Er deutete in eine Ecke, ging voraus und rückte
einen der Stühle zurecht, auf dem Ute Siller Platz nahm.
»Ein Wetter wie im November«, stellte er fest,
während sie in der Speisekarte blätterte.
»Also ab in den Süden«, entgegnete sie sachlich.
»Mach’s doch«, schlug er ihr vor, »du hast’s
doch einfach – und in Südfrankreich scheint immer die Sonne.« Sie ging auf die Anspielung,
die sich auf ihre Ferienwohnung in der Camargue bezog, nicht ein. Er hasste diese
Einsilbigkeit. Wann würde es ihm endlich gelingen, diesen Eisblock zum Schmelzen
zu bringen? Sie bestellten Pizza mit Schinken und dazu Mineralwasser.
»Weißt du«, begann er dann, um über den Umweg
des Geschäftlichen vielleicht mehr von ihr zu erfahren, »diese Verlagerung der Produktion
ist ein heißes Ding.« Er wusste, wovon er sprach, hatte er das Vorhaben doch maßgeblich
eingefädelt und bisher mit keinem Menschen außerhalb der Firma darüber gesprochen.
Es war absolutes Betriebsgeheimnis. Und nun wollte es Nullenbruch einfach so, von
heute auf morgen, der Belegschaft präsentieren.
Ute nickte. »Du hast ja selbst gehört, was
er
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