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Schusslinie

Schusslinie

Titel: Schusslinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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ihn ab. Es versetzte ihn in
längst vergangene Zeiten. Als das hell erleuchtete Feng-Shui-Rasthaus Gruibingen
vorbei zog, kamen die 23-Uhr-Nachrichten. Das Gerangel in Berlin holte ihn wieder
in die Realität zurück. Angela Merkel meldete sich in diesen Tagen immer häufiger
zu Wort. Und für Bundeskanzler Schröders Zukunft verwettete niemand mehr auch nur
einen Pfifferling. Deutschland am Ende, dachte Heimerle. ›Mühlhausen‹ – der Name
der nächsten Ausfahrt, an der er den Blinker setzte, stand auch für den Niedergang
der Republik. Kodak hatte hier einst einen großen Produktionsbetrieb gehabt – doch
das war längst Geschichte. Auf Anhieb hätte er ein halbes Dutzend Unternehmen aufzählen
können, die entlang der 20 Kilometer langen Strecke bis Geislingen in den vergangenen
Jahren von der Bildfläche verschwunden waren.
    Als er den Stadtrand erreichte, war’s 23.20
Uhr. Die Straßen, so schien es, wurden insbesondere von mautflüchtigen Lastzügen
belebt. Die Kleinstadt lag im abendlichen Schlummer. Heimerle überquerte am Sternplatz
die B 10, der als Hauptmagistrale zwischen Stuttgart und Ulm eine überörtliche Bedeutung
beikam. Er erreichte bald das Neubaugebiet am Tegelberg, das sich jenseits der Bahnlinie
den Südhang hinauf erstreckte. Es war etwa zur selben Zeit entstanden, wie jenes
in Aichelberg, wo sich Funke niedergelassen hatte. Nur hatten es die Geislinger
Stadtplaner nicht geschafft, diesen letzten Südhang kleingliedrig und behutsam zu
bebauen. Ziemlich ziel- und planlos, so machte es den Eindruck auf jeden Besucher,
hatte man mehrstöckige Blöcke vor schmucke Einfamilienhäuschen geklotzt. So konnte
es geschehen, dass Grundstückskäufer ein irres Geld für einen Bauplatz mit herrlichem
Blick ausgegeben haben – doch Monate später bereits endete die Aussicht an der Mauer
eines hochgezogenen Mehrfamilienkomplexes.
    Heimerle hatte nochmal Glück gehabt. »Es hätt
schlimmer kommen können«, pflegte er immer zu sagen, wenn Freunde feststellten,
dass der Giebel des nächsten Hauses weit nach oben ragte.
    Auch in dieser Wohnstraße war an diesem kalten
Mittwochabend niemand mehr unterwegs. Die Straßenbeleuchtung wirkte gedämpft, weil
sie bereits auf den nächtlichen Stromspar-Modus geschaltet hatte. Heimerle stellte
seinen Audi unter den mit Pflanzen umrankten Carport. Als die Lichter des Fahrzeugs
erloschen waren, mussten sich seine Augen zuerst an die Dunkelheit unter der hölzernen
Konstruktion gewöhnen. Schon lange hatte er eine Lampe mit Bewegungsmelder installieren
wollen. Doch trotz seines Ruhestands fand er keine Zeit. Der Verein hielt ihn auf
Trab, obwohl er sich schon seit vielen Jahren aus der Vorstandschaft zurückgezogen
hatte.
    Er stieg aus und blieb für einen kurzen Moment
in der Dunkelheit stehen, um nach den Hausschlüsseln zu fingern, die er in der Außentasche
seines Jacketts schließlich entdeckte. Heimerle umfasste den Schlüsselbund mit der
rechten Hand und wollte zum Gehweg gehen, wohin der tief schwarze Schatten einer
Lampe fiel.
    Doch dann trafen Heimerles Augen noch einen
weiteren Schatten. Etwas, das sich bewegte – hinter der verwachsenen Balkenkonstruktion
des Carports. Es war ein Schatten, der sich nahezu lautlos veränderte. Heimerle
erschrak und fühlte sich plötzlich wie gelähmt.

25
     
    Nach der Vernehmung bei der Polizei hatten die Striebels den jüngeren
Kromer mit nach Aichelberg genommen und ihn noch zu einem Getränk in ihre Wohnung
eingeladen. Jetzt, nach durchwachter Nacht, einer langen Bahnfahrt und den Fragen
des Kommissars ziemlich erschöpft, sanken sie im Wohnzimmer in die kühlen Ledersessel.
Frau Striebel schenkte Mineralwasser ein und wartete auf eine Erklärung. Doch ihr
Ehemann hatte beschlossen, ihr keine Details zu nennen. Noch unter dem Eindruck
der gestrigen Drohungen stehend, hielt er es nach wie vor für angebracht, weder
dem Kommissar noch sonst jemanden etwas von den Ereignissen zu berichten.
    Kromer trank das Glas in einem Zug leer. Er
hatte wahnsinnigen Durst gehabt und fühlte sich verschwitzt.
    »Wisst ihr, was ich glaube«, blieb Frau Striebel
hartnäckig und setzte sich ebenfalls in einen Ledersessel, der zu der eichenen Massivmöbeleinrichtung
im großen Wohnzimmer passte, »ich glaub, dass ihr mir etwas verheimlicht.«
    Die Männer schwiegen. Dann aber verfiel Striebel
in seinen bayrischen Dialekt: »Red doch net so saudomm daher.« Kaum hatte er es
gesagt, tat es ihm bereits wieder leid.
    »Wieso interessiert sich

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