Schusslinie
können. Als Experte für die kompliziertesten Betrügereien hatte er
es zumindest in jüngster Vergangenheit nur selten mit derlei scheußlichen Bluttaten
zu tun gehabt. Aber seit ihm die Leitung dieser Außenstelle in Geislingen übertragen
worden war, blieb er von solchen Fällen nicht verschont. Glücklicherweise hatte
er schon einige Male auf Häberle zurückgreifen können. Doch nun sah es ganz danach
aus, als würde er diesmal nicht umhinkommen, diese schreckliche Bluttat selbst bearbeiten
zu müssen. Häberle befasste sich schließlich momentan mit diesem Bahndammmord.
»Mehrere Schüsse, meint der Notarzt.« Die Stimme
des Polizeihauptkommissars riss ihn aus seinen Gedanken. Die Rot-Kreuz-Fahrzeuge
waren bereits weggefahren. Schmittke nickte schnell und wandte sich ab: »Wer ist
das?«
»Heimerle, eine stadtbekannte Persönlichkeit«,
erklärte der Uniformierte, »seine Frau hat einen Schock erlitten. Sie ist in die
Klinik gebracht worden.«
»Heimerle?«, wiederholte Schmittke. »Doch nicht
der vom Sportclub?«
Der Kollege nickte betroffen. »Doch, genau
der.« Er hatte ihn sogar persönlich gekannt.
»Hat die Frau etwas gesagt?«, hakte der örtliche
Kripochef nach. Seine Gedanken kreisten um die Aussage des Notarztes. Mehrere Schüsse.
Und diese offenbar aus allernächster Nähe. Das ließ eindeutig Parallelen zu dem
Fall vom Montag vermuten. Schmittke ahnte bereits, dass die Sache weite Kreise ziehen
konnte. Und er dachte auf einmal wieder an Häberle.
Dann holte ihn die Stimme des Kollegen zurück,
der auf Frau Heimerle anspielte: »Sie hat vor einer halben Stunde über Notruf angerufen
und kaum ein Wort rausgekriegt. Der Kollege hat nur die Adresse verstanden und dass
etwas Schlimmes geschehen sei.« Der Uniformierte überlegte. »Als wir hier eingetroffen
sind, lag sie neben ihrem Mann. Schock. Ganz schlimmer Schock.«
»Eine Waffe?«
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Wir
haben nichts entdeckt, aber auch noch nicht gesucht.« Er hatte sich darauf verlassen,
dass die Kripo rasch mit der Spurensicherungsmannschaft eintreffen würde. »Ihre
Jungs kommen doch, oder?«
Der große, blonde Schmittke machte ein nachdenkliches
Gesicht, das im grellen Scheinwerferlicht blass wirkte. »Die sind heut Nacht voll
beschäftigt«, entgegnete er so sachlich und distanziert, wie er immer war, »in Aichelberg
brennt’s lichterloh.«
»Hab ich vorhin am Funk mitgekriegt«, zeigte
sich der altgediente Beamte informiert, »wissen Sie schon Näheres?«
»Zwei Tote soll’s gegeben haben. Von den Flammen
im Schlaf überrascht«, erklärte Schmittke und entfernte sich ein paar Schritte,
um zu überlegen, wohin der Täter nach diesem Mord hier geflüchtet sein konnte. Ihm
war eigentlich nur diese schlecht beleuchtete Straße geblieben, wenn er nicht, was
kaum anzunehmen war, eine Abkürzung durch mehrere Vorgärten genommen hatte.
Der Uniformierte deutete seinen jüngerem Kollegen
an, die Leiche wieder zuzudecken, und sinnierte unterdessen über die Anhäufung von
Großeinsätzen in einer einzigen Nacht. »Seltsam«, murmelte er dem Kriminalisten
hinterher, »manchmal ist es ganz ruhig – und dann bricht plötzlich die Hölle los.«
Harald Gangolf mochte diese Nachtbars eigentlich nicht. Es war ihm
in seiner Position als Ministerialdirektor nicht gerade angenehm, gelegentlich erkannt
zu werden. Andererseits staunte er dann selbst, wer sich alles in diesen Etablissements
herumtrieb. Meist war es aber den anderen zumindest genauso peinlich wie ihm. Insofern,
so dachte er sich, würde wohl kaum jemand etwas ausplaudern. Und wenn schon? Seit
er geschieden war, konnte ihm Klatsch und Tratsch, was seine Person betraf, völlig
egal sein. Auch wenn seine Liebschaften in manchen Kreisen vielleicht mit gewissem
Naserümpfen zur Kenntnis genommen wurden. Aber in dieser Stadt, in der Menschen
aus allen Teilen Deutschlands arbeiteten und in der sich viele Nationalitäten und
unterschiedliche Mentalitäten trafen, da wurde man von diesem Sog faszinierender
Angebote mitgerissen – egal, ob sie nun kultureller oder sportlicher Art waren oder
den Verlockungen der Lüste entsprangen. Mancher, der aus den entferntesten Winkeln
dieser Republik in die Hauptstadt entsandt wurde, hatte rasch gelernt, dass es im
Leben mehr gab als den beengten Horizont provinzieller Kleinstädte. Diese Menschen
gingen zwar alle wieder gerne in ihre Wahlkreise und in ihr ländliches Idyll zurück.
Doch wochentags, fernab von Familie und gut
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