Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
selbst am Tag dort entlangzulaufen. Früher war sie gern am Wall spazieren gegangen, hatte sich über die Blumen gefreut, die dort wuchsen und die Entenpaare beobachtet, die aus dem Wasser kletterten und um Futter bettelten. Als ihre Tochter noch sehr klein gewesen war, hatte sie oft den Kinderwagen durch die Wallanlagen geschoben und glückselig ihr Baby betrachtet, das meistens friedlich geschlafen hatte. Manchmal hatte sie sich in ein Café gesetzt, mit ihrem Fuß den Kinderwagen vor- und zurückgeschubst und Kaffee getrunken.
Wieder warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Sie drückte eine Taste auf ihrem Handy und rollte die Augen, als sie wieder nur die Mailbox hörte.
Seit über zehn Jahren kannte sie Alexandra jetzt, kannte ihre Gewohnheiten und ihre Macken. Unpünktlichkeit gehörte nicht dazu. Hatte sie die Verabredung vergessen? War sie allein ins Kino gegangen, so wie sie es manchmal machte? Hatte sie sich mit einer Kundin verquatscht? Auch das passierte gelegentlich.
Oder war ihr Auto liegen geblieben?
Jana stieß zischend die Luft aus. Nein, verflixt, Alexandra musste irgendwas passiert sein!
Seitdem diese arme Frau gefunden worden war, halbnackt auf einer Parkbank sitzend, hatte Jana miserabel geschlafen, grauenhafte Albträume gehabt und ihrer Tochter befohlen, vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein. Vielleicht war sie übervorsichtig, und wenn schon.
Angespannt stieg sie wieder in ihren Fiat und drehte das Radio auf, weil sie die plötzliche Stille nicht ertrug.
Sie hatte sich auf diesen Abend gefreut. Ihre gemeinsamen Abende waren immer etwas, worauf sich beide freuten.
Außerdem hatte Jana das dringende Bedürfnis sich auszusprechen. Alex war eine wunderbare Zuhörerin, überhaupt war sie die beste Freundin, die Jana sich wünschen konnte.
Im Radio lief Nothing else matters , und Jana stellte schnell einen anderen Sender ein. Eigentlich liebte sie dieses Stück, aber heute Abend konnte sie es einfach nicht ertragen.
Sie fuhr die Friedrich-Ebert-Straße entlang, und als sie an der Ampel halten musste, schloss sie kurz die Augen.
Ihr war merkwürdig schwer ums Herz. Im Grunde war sie ein fröhlicher, unbeschwerter Mensch. Doch die schwierige Beziehung zu ihrem Lebensgefährten machte ihr momentan zu schaffen, und sie war froh gewesen, endlich mit Alex darüber reden zu können.
Während sie die Bundesstraße in Richtung Kirchhuchting fuhr, überlegte sie, was geschehen war, dass Alexandra nicht zu ihrer Verabredung gekommen war. Es musste nichts heißen, das wusste Jana. Trotzdem war sie durcheinander, und sie hatte ein eigenartiges Gefühl im Bauch.
Was, wenn Alex nun wirklich etwas passiert war?
Jana atmete heftig aus. Reiß dich zusammen ... Du drehst durch, weil diese Frau in den Wallanlagen gefunden wurde ...
Alexandra wohnte in Moordeich, in einem kleinen, sehr alten und sehr heimeligen Häuschen, in dem früher ihre Großeltern gewohnt hatten.
Jana nahm die Abfahrt Kirchhuchting, und je näher sie Moordeich kam, desto nervöser wurde sie.
An der »Haferflocken-Kreuzung« musste sie halten, und wie immer hing ein starker Duft von gerösteten Haferflocken in der Luft. Sie kurbelte das Fenster etwas herunter und schnupperte.
Bei diesem Geruch fühlte sie sich immer in ihre Kindheit zurückversetzt.
Sie fuhr über die Kreuzung und bog links ab.
Schon von Weitem sah sie, dass Alexandras Haus unbeleuchtet, offenbar also niemand zu Hause war.
Trotzdem parkte sie ihren Fiat und stieg aus.
Als Alex das Haus geerbt hatte, hatten sie kurzfristig darüber nachgedacht, ob Jana mit ihrer Tochter nicht auch mit einziehen sollte. Sie hatten sogar Pläne gemacht, wer welches Zimmer beziehen sollte und wie sie ihre gemeinsame Küche einrichten könnten. Jana hatte schließlich einen Rückzieher gemacht. Nicht, weil sie sich nicht vorstellen konnte mit Alex zusammenzuwohnen. Es gab keinen Menschen, den sie lieber um sich hatte, aber sie hatte plötzlich kalte Füße bekommen.
Angenommen, sie würden sich nicht vertragen, sie würden sich auf die Nerven und schließlich aus dem Weg gehen. Das hätte nicht nur das Ende ihrer Wohngemeinschaft, sondern auch ihrer langjährigen Freundschaft bedeutet, und das wollte Jana vermeiden.
Es war ein frühsommerlicher, sehr milder Abend, dennoch zitterte sie. Sie lief durch den wie verwunschen wirkenden Garten, den Alex zu einem Rosenparadies gemacht hatte.
Im Frühsommer begannen die ersten Rosensorten zu blühen, im Sommer folgten die
Weitere Kostenlose Bücher