Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
»Gern.«
»Dann ... sollten wir bald einen Termin machen«, murmelte er und rannte weiter.
Moritz Kuhn hatte seine Hausaufgaben gemacht.
Nachdem sich seine Kollegen um ihn herum versammelt hatten, eröffnete er die Runde mit den Worten: »Ich erzähle euch, mit was für einem Kerl wir es meiner Meinung nach zu tun haben.«
Er nippte an seinem Kaffee. »Der Täter hat Carmen Wolfrat in dieser Bar gesehen, vielleicht zufällig, weil er was trinken wollte, vielleicht kam er öfter her und sie gefiel ihm einfach. Carmen war die Letzte an diesem Abend, vielleicht hat er genau darauf gewartet. Er betäubt sie, vielleicht waren es wirklich diese K.-o.-Tropfen, schleppt sie irgendwohin und legt ihr ein Seil um den Hals. Das macht er von hinten, sodass sie ihn nicht angucken kann, und anschließend schleppt er sie zum Wall, zieht sie bis auf die Unterwäsche aus und setzt sie hübsch auf eine Bank. Er nimmt ihre Klamotten, zieht sie an – warum auch immer, da gibt es verschiedene Theorien – und spaziert damit durch die Stadt. Da Carmen Wolfrat von zwei Zeuginnen später noch gesehen wurde, die sie gut beschreiben konnten, müssen wir davon ausgehen, dass er eine Perücke getragen hat. Eine Perücke, die den Haaren von Carmen Wolfrat sehr ähnlich ist.« Er holte Luft und sah Schuster an, der die ganze Zeit dagesessen und genickt hatte. »Heiner? Möchtest du was sagen?«
Schuster winkte ab. Was er von den meisten Zeugenaussagen hielt, könnte er auch später noch sagen. Wenn es nicht sowieso längst alle wussten.
»Vielleicht war er aber auch gar nicht in der Bar, sondern hat Carmen nach ihrem Feierabend irgendwo aufgelauert.« Womit Kuhn recht haben könnte. Bisher wussten sie nicht mal, ob Carmen ihren Mörder tatsächlich in der Bar getroffen hatte.
Auch wenn es recht wahrscheinlich war, da die Bar nicht abgeschlossen und Carmen laut den Aussagen ihrer Kollegen immer zuverlässig gewesen war. Sie hätte nicht einfach vergessen abzuschließen, vermutlich war sie einfach nicht mehr dazu gekommen.
Wenn Carmen ihren Mörder wirklich in der Bar getroffen hatte, dann hatte er entweder nichts getrunken, oder aber – und das konnten sie eben nur vermuten – er hatte sein Glas mitgenommen, um Spuren zu verwischen.
»Er legt ihr von hinten die Schlinge um den Hals, weil er es nicht erträgt, dass sie ihn ansieht«, redete Kuhn weiter.
»Entweder er hat Angst, Angst davor, es nicht durchziehen zu können, oder er hat einfach nur ein schlechtes Gewissen, er erträgt es nicht, sein Opfer so zu sehen.«
Schuster sah, dass Grätsch fast unmerklich den Kopf schüttelte und die Augenbrauen hob.
»Vielleicht war Carmen besonders nett zu ihm – es heißt doch, sie war zu jedem nett«, meinte Kuhn achselzuckend. »Und vielleicht hat er sie deshalb ausgesucht. Er tötet sie – vielleicht, um ihr näher zu sein, schleppt sie zum Wall, zieht sie aus, macht alles pieksauber und haut ab. Ihre Kleidung riecht nach ihr, vielleicht macht ihn das an. Vielleicht liebt er es auch einfach nur, in Frauenkleidern durch die Gegend zu rennen. Ich kann mir vorstellen, dass die Frauen ihn an seine Mutter erinnern. Bei vielen Tätern, die so morden, ist das wohl so. Die Frauen sehen aus wie Mama, und die war entweder dominant und stark oder eine grässliche Schlampe. Mit den Perücken ist das so eine Sache ...« Kuhn seufzte leise und schien nachzudenken. »Er will wohl möglichst genauso aussehen wie das Opfer. Die Klamotten reichen ihm nicht. Vielleicht hat er sogar beruflich mit Perücken zu tun und hat so gemerkt, wie ihn das Tragen anmacht.«
»Oder Mama trägt welche, und er hat sie ihr geklaut«, meinte Lahm, und Schuster musste grinsen.
»Warum, glaubst du, setzt er sie auf eine Bank? Er könnte sie doch irgendwo ablegen, wo er sie umgebracht hat, zum Beispiel.«
Kuhn nickte. »Das könnte er. Es ist eben seine Masche. Er will möglicherweise, dass sie schnell gefunden wird. Vielleicht steht er aber auch auf den Anblick.«
»Sie meinen, er freut sich an seiner Inszenierung?«, fragte Grätsch kopfschüttelnd.
Auch Kuhn schüttelte den Kopf. »Nein, wissen Sie, was ich glaube? Ich denke, der Kerl schämt sich in Grund und Boden. Und wenn er sie hinsetzt, als würde sie gleich wieder aufstehen und einkaufen gehen ...«
»Wenn man mal davon absieht, dass sie nicht im Schlüpfer in den Supermarkt gehen würde«, unterbrach Schuster ihn stöhnend.
Kuhn nickte. »Er hat so das Gefühl, sie wäre gar nicht wirklich tot. Versteht
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